Das Wort Haltung führt ein interessantes Doppelleben. Es steht gleichzeitig für unsere Körperhaltung, wie unsere geistige Haltung.
Und das kommt nicht von ungefähr. Aggression, Schüchternheit, Demut, Depression, Freude, Anspannung, Hoffnungslosigkeit, usw. Jedes Gefühl geht mit klaren Körperhaltungen einher. Diese Körperhaltung ist Ausdruck des seelischen Befindens. Unser Körper geht unwillkürlich in die Haltungen, die mit unseren Stimmungen zu tun haben. Wir haben darauf keinen bewussten Einfluss.
Wo wir zu vielen unserer Emotionen keinen Bezug haben, werden wir sowohl in unserer emotionalen Haltung gegenüber dem Leben, als auch in unserer körperlichen Haltung starr. Wir werden aggressive Persönlichkeiten, deren Körperhaltung oft Angriff und Aufrichtung oder signalisiert - oder wir werden zurückgezogene Persönlichkeiten, die den Augenkontakt meiden, und deren Körperhaltung oft etwas eingeigeltes bekommt.
Das sind plakative Beispiele für etwas, das in vielen Nuancen existiert. Oft existieren diese Haltungen auch nebeneinander. Wir sind frei, entspannt und in Kontakt, wenn wir uns in Beziehung wohlfühlen, und im nächsten Moment igeln wir uns ein, weil uns jemand in einer Energie begegnet, mit der wir nicht zurechtkommen.
Was hat das mit dem Thema Körper in der Achtsamkeit zu tun?
So wie unsere Gefühle unsere Körperhaltung bedingen, so bedingt auch die Haltung unseres Körpers unsere Gefühle.
Wenn wir lernen beim Meditieren eine aufrechte Haltung einzunehmen, die frei und durchlässig ist, erlaubt uns diese Haltung auch andere Gefühle. Die aufrechte Haltung verbindet uns mit einem Gefühl der inneren Klarheit.
Hat sich unser Körper erst mal in einem Bereich durch permanente Anspannung verhärtet - ist eine innere Haltung ganz in eine Körperhaltung übergegangen, kommen wir auch aus der inneren Haltung und den dazu gehörigen Gefühlen nicht mehr raus. Unsere Körperhaltung wird zu unserer Persönlichkeit. In dieser Haltung sind uns bestimmte Gefühle nicht mehr zugänglich. Sie sind sozusagen in der Verspannung gehalten.
Wo wir mithilfe von Yoga Verhärtungen in unserem Körper lösen, werde so auch wieder Gefühle frei gesetzt, die in der Verspannung gehalten wurden. Wenn wir auf der Körperebene eine Lösung erleben, kommen wir wieder in den Fluss. Energie kann wieder durch die vorher verhärteten Teile unseres Körpers fließen. So kann unser Körper wie auch unsere Psyche in eine neue Haltung kommen.
Körpertherapie
Alles was in unserem Körper Verhärtungen auflöst, hilft der Lösung. So auch Massagen oder jede Art von Energiearbeit mit dem Körper, so wie viele Arten von Sport. Wenn Symptome wie Verspannungen weniger werden, haben wir die Möglichkeit uns mehr zu spüren. Neue Gefühle werden uns zugänglich.
Doch die Lösung nur über die körperliche Ebene zu suchen, hieße, daß ich zwar die Symptome behandle, aber nicht ihre Ursachen. Auf Dauer kostet es sehr viel Energie die Symptome zu bearbeiten, ohne deren Ursache zu begegnen - denn die Symptome werden immer wieder auftauchen.
Die Ursache liegt in einem ganz grundlegenden Verhalten unserer Psyche:
Ja und Nein
Ein Ja oder ein Nein zur Wirklichkeit wie sie ist - das ist für mich ein zentrales Thema in der Achtsamkeit. Überall wo wir ein Nein in uns haben, spannen wir uns an. Überall, wo wir ein Ja in uns haben, entspannen wir uns. Wenn wir über zu lange Zeit mit einem oder vielen Neins leben, kommt unser Körper körperlich nie mehr in die Entspannung. Anspannung wird zur Verspannung. Bestimmte Probleme schlagen uns auf bestimmte Regionen im Körper. Manche schlagen uns auf den Magen, andere sitzen uns im Nacken, oder uns krampft sich das Herz zusammen, usw.
Wo das passiert verlieren wir auf körperlicher Ebene den natürlichen Fluss aus Anspannung und Entspannung. Sobald unser Körper so verspannt ist und die Energie im Körper nicht mehr richtig fließen kann, sind wir auch von den Gefühlen abgeschnitten, die in den Verspannungen gespeichert sind. Wir spüren uns dann auch nicht mehr körperlich. Darin zeigt sich die enge Verbindung zwischen körperlicher und geistiger Haltung.
Lösung ist auf der körperlichen Ebene ein Wort, das sehr klar greifbar ist. Wir alle wissen, wie es sich anfühlt, wenn sich eine Verspannung oder ein Schmerz lösen.
Lösung auf der emotionalen Ebene kommt überall dort, wo wir Schritt für Schritt all das wieder integrieren was zu uns gehört, und was wir in uns ausgegrenzt haben - oder anders gesagt - wenn wir zu "allen" Gefühlen in uns wieder ja sagen können. Durch ein inneres Ja können wir in Beziehung zu unseren Gefühlen kommen und sie wieder als zugehörig und konstruktiv erkennen.
Es gibt nicht die "eine" Lösung
Es ist gut, wenn wir nicht von "einer" Lösung erwarten, daß sich mit ihr unser ganzes Leben ändert.
Jeder, der schon mal Yoga gemacht hat, kennt den Effekt. Man dehnt einen Teil des Körpers - das fühlt sich dann sehr angenehm an. Man merkt, wie leicht der Teil wirkt und wie die Energie fließt. Doch gleichzeitig merkt man dadurch, daß irgendwo ein anderer Körperteil ist, der eigentlich auch gedehnt gehört. Und so geht man durch den Körper. Durch Geduld und stete Übung in Achtsamkeit kann man Lösung für Lösung sammeln. Mit den Gefühlen und Persönlichkeitsanteilen, die wir in uns ablehnen, verhält es sich genauso.
Darum ist die Achtsamkeit auch eine Übungspraxis und keine Perfektionspraxis. "Regelmäßige" Übung im Annehmen von schwierigen Gefühlen und "regelmäßige" Körperübung ist dabei das Wichtigste.
Jeder von uns überschätzt, was er an einem Tag schafft, aber jeder von uns unterschätzt, was er in einem Jahr schafft, wenn er stetig an einer Sache dran bleibt.
Die Haltung der Achtsamkeit
In der Meditation und im Alltag dem Ungewollten - dem was wir nicht spüren wollen - mit offenen Augen zu begegnen und mit ihm in Beziehung zu gehen - mit ihm zu sein, ohne Urteil und ohne Ziel - das ist die Haltung, die die Achtsamkeit dem Leben gegenüber einnimmt. Alle Übungen der Achtsamkeit stellen einen kleinen Baustein in diesem Weltbild dar.
Letztlich ist Achtsamkeit eine Haltung auf das ganze Leben zu schauen - nicht nur in der Meditation und bei den Körperübungen, sondern auch im Alltag. Diese Haltung nimmt das Ganze an und integriert damit das, was wir an uns selber nicht haben wollen. Schritt für Schritt.
Je mehr wir von den Gefühlen integrieren können, die wir bei uns nicht haben wollen, desto freier, weiter, flexibler werden wir. Unser Körper lebt im natürlichen Wechsel von Entspannung und Anspannung, aber im besten Fall fällt viel Verspannung mit der Zeit weg. Alles bewegt sich von starr und eng Richtung weit und flexibel.
Zu je mehr Gefühlen in uns wir ohne Urteil in Beziehung gehen können, desto weniger innere Konflikte erleben wir. Und durch den inneren Einklang werden auch unsere Konflikte mit anderen weniger.
Das beschreibt für mich gut die Haltung der Achtsamkeit.