Askese ist ein altmodischer Begriff, den man mit mittelalterlichen Mönchen und Einsiedlern in Verbindung bringt. Mit Fastenzeiten, Verzicht und Entbehrung.
Je länger ich mich in Achtsamkeit übe, desto wichtiger wird Askese für mich in meinem Alltag. Denn alles was wir über unsere Sinne aufnehmen, muß unser Bewußtsein, unser Körper unsere Gefühle und unsere Gedanken erst mal verarbeiten. Zusammen nenne ich diese drei "unser System". Unser System braucht ein bißchen Zeit um für sich Ordnung zu schaffen. Aber geben wir ihm die Zeit?
Wie gut kann man ein Zimmer aufräumen, wenn man schneller Dinge rein wirft, als man sie wieder ordnen kann.
Sich Selber eine Chance geben
Wenn unser System die Zeit bekommt sich selbst zu ordnen, dann macht es das ganz von alleine. Die Prinzipien der Achtsamkeit, die Übungen und Meditationen helfen dieser Selbstordnung einen guten Boden zu bereiten, und machen sie daher einfacher.
Wir leben heute in einer Kultur, die unglaublich beschleunigt ist. Wir haben ständig die Möglichkeit uns beschäftigt zu halten, uns abzulenken - im Internet, mit WhatsApp, Spielen, Fernsehen, Konsum jeder Art. Aber wie fühlen wir uns dabei? Meist unruhig, angespannt, und gehetzt. Oft befriedigen wir sofort jedes Verlangen nach Konsum, nach Essen, nach Ablenkung. Doch wenn wir das tun, hat das einen hohen Preis. Wir verlieren den Kontakt zu unseren wahren Bedürfnissen.
Schnelle Befriedigung und ein aufnehmen von immer mehr hat oft mit einem Gefühl des Mangels zu tun. Doch wir machen die Erfahrung, daß Konsum jeder Art diesen Mangel nicht beseitigt. Er deckt ihn nur für eine kleine Zeit zu.
Die Fähigkeit still zu halten und mit uns im Augenblick allein sein zu können geht mehr und mehr verloren. Kaum fahren wir 200 Kilometer auf der Autobahn - eine wunderbare Gelegenheit in Stille zu sein, drehen wir automatisch das Radio auf - und konsumieren schon wieder Musik oder andere Sendungen..... wieder muß unser System etwas Äußeres verarbeiten - es bekommt keine Zeit sich zu ordnen.
Wir geben uns im Alltag heute kaum eine Chance zu uns zu kommen. Das Gefühl zu uns zu kommen ist mittlerweile für Viele unangenehm geworden. Wen würde man da treffen? Man weiß es oft gar nicht mehr. Welche Gefühle würden da hoch kommen? Welche Gedanken würde man sich machen? Dann lieber zum fünften Mal am Tag die Nachrichten lesen, noch eine Partie Sudoku, WhatsApp Nachrichten beantworten, und danach "zur Entspannung" noch zwei, drei unterhaltsame You Tube Videos schauen. Dann ist der Abend auch erfolgreich bewältigt - nur zu uns gekommen sind wir nicht. Wie wir uns fühlen, was unsere Bedürfnisse sind, was wir wollen - das wissen wir nicht.
In diesem Modus gehen wir ins Bett - meist mit dem Gefühl, daß wir ganz genau wissen was wir sollen, aber nicht was wir wollen. Denn dafür hätten wir uns begegnen müssen. Nur zu wissen was man soll macht Streß - und wie gut ist es, sich dann wieder mit Konsum vom Streß abzulenken.
Wen treffen wir, wenn wir nur mit uns sind?
Als Erstes treffen wir unsere Gedanken, die eifrig damit beschäftigt sind, das durch zudenken was gerade war, und was morgen sein wird.
Wenn wir länger mit uns sind, dann treffen wir auch Gefühle und Gedanken die uns irritieren - die scheinbar nicht dazu gehören. "Warum denk ich jetzt daran?" "Aha - ich bin anscheinend traurig. Das hab ich vorher nicht gemerkt." "Ich erinnere mich auf einmal, wie ich als Kind im Sommer barfuß über eine Wiese gelaufen bin - und an einen Abend vor 5 Jahren, als ich nicht wußte wo meine Tochter war." Oder ich fühle mich einfach nur unruhig und angespannt - und dieses Gefühl will ich nicht spüren - also vermeide ich es durch Ablenkung.
Dieses Verhalten erzeugt Sucht. Wann immer etwas Unangenehmes in mir auftaucht, schalte ich auf einen anderen Kanal, in dem ich mir irgendetwas zuführe.
Wenn wir zu uns kommen, tauchen intuitiv Dinge auf, die uns überraschen. Wenn wir "bei ihnen bleiben" stellen wir fest, daß sie wichtig sind. Daß unser inneres System sie aus gutem Grund ins Bewußtsein bringt - zumindest an den Rand des Bewußtseins. Wenn wir sie hören, kriegen wir Kontakt dazu, was für uns im Moment wichtig ist. Wir verbringen Zeit mit uns und können uns selber zuhören. Wir merken bewußt wo wir gerade stehen.
Das ist für Viele anfangs nicht einfach - auch weil wir es oft nicht gewöhnt sind zu uns selber eine gute Beziehung zu unterhalten. Innere Kritiker oder innere Antreiber machen uns das Leben zur Hölle - dann lieber doch das You Tube Video, eine Zigarette und noch eine Cremeschnitte.
Die Tasse läuft über
Es kam einmal ein Schüler zu einem Meister und wollte lernen. Als die Beiden sich zur Teezeremonie hin setzten, schenkte der Meister dem Schüler Tee in seine Schale. Als die Schale schon überging, schenkte der Meister weiter ein.
Der Schüler machte ihn darauf aufmerksam. Da sagte der Meister: "Du kommst wie eine volle Schale. Wenn du etwas lernen möchtest, mußt du erst mal leer werden, damit du wieder etwas aufnehmen kannst".
Dieses leer werden erlauben wir uns nicht mehr. Wir spüren, daß unsere Tasse täglich überläuft, daß wir überfordert sind, daß wir keine Zeit haben und keine Zeit finden. Wir merken, daß wir nicht mehr zu uns kommen, aber wir fühlen uns hilflos darin den Weg zu finden.
Achtsamkeit bietet viele Übungen für den Alltag und Meditationen, die genau dem Platz geben. Es gibt viele Möglichkeiten sich dem anzunähern und einmal etwas auszuprobieren - auch ohne daß man gleich anfängt täglich zu meditieren.
Askese ist wichtig
Wenn es uns nicht gelingt möglichst täglich ein bißchen zu uns zu kommen, dann werden wir uns verlieren. Dann helfen auch die Wochenenden und die 3 Wochen Ferien am Stück nicht. Denn dann haben wir das "zu uns kommen" so verlernt, daß wir uns auch an den Wochenenden und in den Ferien lieber von uns selbst ablenken - und von all den Gefühlen, die wir in uns nicht spüren wollen.
Übung
Ich habe heute für mich beschlossen in meinem Leben mit dem Computer, dem Internet, und dem Telefon anders umzugehen. Dafür habe ich mir einen ganz einfachen Plan zurecht gelegt.
Wenn ich morgens aufstehe, ist mein Mobiltelefon abgeschalten. Ich schalte es erst zu Mittag ein. Bis Mittag öffne ich weder das Internet, noch das mail Programm.
Ab 20h00 schalte ich das Telefon wieder ab, der Computer wird geschlossen - kein mail / kein Internet, kein Telefon bis nächsten Tag mittags.
Jeden Abend um 22h00 mache ich noch einen Spaziergang für mich.
Ich merke wie ich durchatme, wenn ich diesen Plan vor mir sehe.
Das ist mein jetziger Plan Askese zu üben. Vielleicht habe ich in zwei Monaten einen anderen.
Dieser Eintrag ist eine Einladung an jeden sich etwas ausdenken, das für ihn persönlich paßt - worauf er persönlich neugierig wäre.
Wo nehme ich mir Zeit für mich? Zeit, in der ich nichts konsumiere - in der ich nur mir selbst begegne?
Wie bei jeder Achtsamkeitsübung ist es gut, wenn man ohne Erwartungshaltung in die Übung geht und das Bewußtsein aufmerksam dafür ist, was passiert.
Und wie bei jeder Achtsamkeitsübung schult es das Bewußtsein bewußt auf seinen Körper und seine Gefühle zu achten - die Erfahrungen in ein Tagebuch zu schreiben. Sich ins Bewußtsein zu holen was passiert, wenn ich mir selbst begegne - und wie es mir damit geht mit mir selber Zeit zu verbringen.
"Das kann der Anfang einer wunderbaren Freundschaft sein", heißt es am Ende von Casablanca.....
Wie im Mittelalter, als es Fastenzeiten um Weihnachten und Ostern gab, ist das Ziel der Achtsamkeit nicht die Askese. Nach Ostern kommt der Frühling und alle Sinne gehen wieder nach draußen. Die Weisheit der Askese liegt darin sich bewußt und regelmäßig aus dem Leben ein Stück herauszunehmen um zu sich zu finden, um dann am nächsten Tag wieder an der Fülle des Lebens teilzuhaben.
Idee ist ein Gleichgewicht zwischen diesen Polen zu schaffen - sodaß ich im Außen wieder damit verbunden bin, was ich möchte und nicht nur damit was ich soll. Dann muß ich mich im Alltag auch nicht mehr so viel ablenken - weil ich mehr und mehr in Einklang damit komme, was ich will.