Achtung oder auch Respekt ist etwas, was wir meist gerne für uns einfordern. Wir wollen von anderen geachtet und respektiert werden. Bei der Frage warum wir jemanden achten sollten, der uns aber nicht achtet, wird es schwierig. Weil wir das Gefühl haben, daß wir - wenn wir ihn achten, damit auch seinem Handeln uns gegenüber zustimmen. Und das bei jemandem, der unsere Grenzen ohnehin schon verletzt.
Diese Reaktion ist verständlich und richtig - aber sie geht von einem falschen Verständnis von Achtung aus. Nämlich dem, daß Achtung mit Zustimmung gleich gesetzt ist.
Was ist Achtung eigentlich genau?
In der Definition der Achtsamkeit geht es um die Anerkennung, daß auch wenn mich etwas verletzt, ich nicht weiß wie der Andere zu seiner Meinung oder zu seinem Handeln kommt. Was seine Geschichte ist, was ihm passiert ist, daß er so reagiert.
Es geht anders gesagt um die Bereitschaft den anderen verstehen zu wollen. Bereit zu sein auch im Konfliktfall zuzuhören - mit dem Ziel den anderen zu verstehen, statt sich gleich zu verteidigen oder zu rechtfertigen. Das ist gelebte Achtung.
Um meinem Gegenüber zuzuhören, muß ich ihn nicht mögen. Aber indem ich ihn achte, kann ich lernen ich ihn verstehen.
Konflikte machen blind
Wenn wir mit jemandem in Konflikt sind ist die Bereitschaft den anderen verstehen zu wollen das Erste was auf der Strecke bleibt. Meist kämpfen "beide Seiten" darum verstanden und gesehen zu werden - und keiner ist bereit dem Anderen zuzuhören. Wenn das geschieht, kommen Vorwürfe, Ansprüche und Unterstellungen ins Spiel. Jeder Vorwurf und jeder Anspruch trennt und vertieft den Konflikt.
Die Blindheit ist, daß sich zwar beide Konfliktparteien verletzt fühlt, aber keiner der Beiden sieht sich selbst als Täter. Wenn wir verletzt sind, sind wir meist für unsere eigene Täterschaft blind. Sobald wir uns in einem Konflikt als Opfer fühlen, verlieren wir den Kontakt dazu, den anderen verstehen wollen. Meist fixieren sich beide Seiten darauf daß ihn der Andere verstehen soll.
Dieser Effekt ist wesentlich dafür verantwortlich daß sich Konflikte verstärken. Jeder sieht sich selber als Opfer und den anderen den als Täter.
In diesem Modus kann sich der Konflikt nicht lösen. Auch wenn er vielleicht aus Erschöpfung äußerlich beendet wird. Auch wenn eine Partei sagt, daß es schon okay ist - ohne sich verstanden und gesehen zu fühlen, schwelt der Konflikt innerlich weiter. Das führt dazu, daß der Konflikt bei der nächstbesten Gelegenheit wieder ausbricht - und das oft über Kleinigkeiten.
Achtung kann man nicht fordern, man kann sie nur geben
Ein Konflikt löst sich erst, wenn einer damit beginnt dem Anderen wirklich zuzuhören. Im Bemühen den Anderen zu verstehen. Durch Zuhören kann Verständnis entstehen. Verständnis für den Anderen ist die Basis dafür daß ich ihn mögen kann. Und wenn ich ihn mögen kann, dann lerne ich ihn vielleicht auch lieben.
So ist die Achtung die Basis von Beziehung. Ohne Achtung gibt es kein Verständnis, kein mögen und keine Liebe.
In dem Moment, in dem man von jemand anderem Achtung fordert, ist man in Wirklichkeit nicht bereit sie dem Anderen zu geben. Wenn es einer Konfliktpartei gelingt zuzuhören um zu verstehen, legt sie den Grundstein dafür daß Beziehung möglich ist. Zuhören um zu verstehen beinhaltet kein Zugeständnis, kein Nachgeben und kein unterwerfen. Es beinhaltet lediglich verstehen zu wollen was den anderen dazu gebracht hat zu handeln wie er gehandelt hat.
So entsteht Achtung und Respekt nicht dadurch, daß ich sie einfordere, sondern dadurch, daß ich sie gebe. Das gilt auch für das Zusammenleben mit Kindern. Kinder lernen Achtung, indem sie geachtet werden - und nicht, indem ich Achtung von ihnen fordere.
Als kleines Nachwort: Wer sich in das Thema ein bißchen vertiefen möchte findet viele Einträge zum Thema Beziehung und Konflikt und achtsame Kommunikation. Im Zusammenhang mit diesem Eintrag empfehle ich den Eintrag "Achtung und Selbstachtung". Denn die Selbstachtung ist eine wesentliche Grundlage dafür, daß die Achtung vor dem Anderen gelingt.
Übung
Konflikte besser lösen zu können hängt ganz wesentlich damit zusammen sich über Dinge bewußt zu werden, die sonst unbewußt sind. Das meiste was im Konflikt passiert, passiert sozusagen im Affekt. Wir sind sehr emotionalisiert und kommen erst eine Weile nach einem Konflikt wieder zu uns.
Schreibe in dein Tagebuch wie du kleine und große Konflikte in dieser Woche erlebst. Versuche zu erkennen, wo du dich nicht geachtet gefühlt hast und wo du jemand anderen so wie er ist nicht achten konntest.
Versuche zu erkennen wo es dir möglich war zuzuhören um zu verstehen - und welchen Unterschied das gemacht hat.
Die Übung darin den anderen zu achten und kein Urteil über ihn zu haben ist eine, die man am besten immer aufrecht erhält. Die eigene Fähigkeit das Gegenüber zu achten und ihn verstehen zu wollen - insbesondere wenn ich seinem Handeln und seinen Worten nicht zustimmen kann - ist gelebte Achtsamkeit.
Wo das gelingt, führt uns das in Beziehung statt in den Konflikt.