Unser Leben beginnt nach der Geburt mit dem ersten Atemzug und endet, wenn der letzte Atemzug getan wird.
Wenn ein Baby atmet, ist der Atem tief und ruhig. Da die Atmung tief und ruhig ist, hebt sich auch der Bauchbereich. Das ist unsere natürliche Form der Atmung. Sie braucht die wenigste Energie und wirkt ordnend auf den ganzen Körper.
Wenn wir uns entspannen, wird unser Atem langsamer und tiefer. Wenn wir aufgeregt sind, wird er flacher und schneller. Jeder Zustand und jedes Gefühl hat seine Entsprechung im Atem.
Unser Atem ist ein Spiegel dessen wie wir uns fühlen
Unser heutiger schneller Lebensstil ist oft mit viel Anspannung verbunden. Niemand fühlt sich wohl, wenn er ständig angespannt ist. Wenn wir angespannt sind, würden wir am liebsten flüchten oder kämpfen - die natürlichen Reaktionen für Streßabbau in der Natur. In unserer Kultur können wir das aber so kaum ausleben. Daher richten wir viel der inneren Anspannung gegen uns selber. Herzrasen, unser Magen zieht sich zusammen, exzessives Grübeln, Schlafprobleme, Gefühle von Angst und Streß sind die Folge.
Anspannung gehört zum Leben, genauso wie Entspannung. Es ist nicht das Ziel immer entspannt zu sein. Doch wenn wir über längere Zeit angespannt bleiben, verschwinden die Streßhormone nicht mehr aus unserem Körper - auch wenn die Streß auslösende Situation lang vorbei ist. Unser Atem wird in der gefühlten Gefahrensituation schneller und flacher . Entspannung wird dann gar nicht mehr erreicht. Anspannung wird zu Normalität und wir finden nicht mehr zurück zum natürlichen ruhigen Fluß unseres Atems.
Unser Atem ist ein Anker
So wie unser Atem von allem beeinflußt wird, was wir denken und fühlen, wird auch umgekehrt das was wir denken und fühlen von unserem Atem beeinflußt. Wenn wir bewußt ruhig und tief atmen, bringt uns das ganz unwillkürlich in andere Gefühle und auf andere Gedanken - und wir entspannen uns. Wir können uns diesem Effekt nicht entziehen. Dieser Zusammenhang spielt eine ganz wesentliche Rolle in der Achtsamkeit.
Wie schwer ist es oft am Ende eines anstrengenden Tages, der vielleicht schwierige Situationen und menschliche Konflikte beinhaltet hat, seine Gedanken und Gefühle zu ordnen. Wir sind es gewohnt am Ende eines solchen Tages über unsere Gefühle nachzudenken. Es ist in unserer Kultur so üblich. Doch Gedanken können Gefühle nicht verstehen. Gefühle wollen gefühlt werden, dann ziehen sie vorüber. Die Gedanken dürfen in Bezug auf Gefühle eigentlich ruhen.
In der Angewohnheit über unseren Tag nachzudenken, verlieren wir nichts von unserer Anspannung. Oft ist es dann das Bier am Abend, ein Essen, ein Film, Sport, oder eine Ablenkung, durch die wir uns entspannen können.
Doch es gibt einen ganz direkten und einfachen Weg in die Entspannung. Unseren Atem.
Entspannung durch Kontakt mit unserem Atem
Wir haben unseren Atem praktischerweise immer dabei. Wir fallen nirgends unangenehm auf, wenn wir atmen. So kann ich auf dem Weg von der Arbeit nach Hause ganze einfach eines tun. Ich kann auf dem Weg auf meinen Atem achten. Wenn es die Art der Fortbewegung erlaubt, meine Augen dabei schließen. Und dabei nichts anderes machen, als auf den ruhigen Fluß meines Einatmens und Ausatmems achten. Ich muß dabei nichts forcieren. Ich muß mich nicht einmal bewußt entspannen.
Wenn wir uns einfach auf den Fluß unseres Atems konzentrieren, der leichten Anspannung beim Einatmen, und der Entspannung beim Ausatmen, finden wir in den gesunden Kreislauf von Anspannung und Entspannung zurück, der in unserem Atem angelegt ist. Egal wie sehr unsere Gedanken noch rattern - wann immer wir merken, daß wir mit unserer Aufmerksamkeit nicht bei unserem Atem sind, suchen wir wieder den Kontakt mit unserem Atem.
Die entspannende Wirkung, die davon ausgeht, wirkt zurück auf unseren Zustand von Streß, Anspannung und Überforderung. Während wir auf unseren Atem achten, müssen wir nichts tun. Und es kommt nichts dazu, zu dem "zu viel" des Tages. Es genügt für diese Zeit, daß wir einfach nur sind, und nichts müssen.
Damit, daß wir mit unserem Atem Kontakt aufnehmen, nehmen wir auch Kontakt zu uns selber auf.
Durch die Anforderungen des Tages verlieren wir oft den Kontakt zu uns selbst - zu unseren Bedürfnissen - und dazu, wie es uns eigentlich geht. Wir nehmen uns selber nicht mehr bewußt wahr. Wenn wir die Augen schließen und auf unseren Atem achten, kommen wir am Ende des Tages wieder mit uns in Kontakt - gehen ganz bewußt damit in Beziehung, wie es uns gerade im Moment geht - und daß es uns guttut, daß im Moment gerade gar nichts passiert.
Wenn wir die Augen wieder öffnen und zu Hause ankommen, spüren wir, daß wir präsenter sind - ohne daß wir über irgendeine ungelöste Situation des Tages nachgedacht hätten, oder über unsere Gefühle. Wir haben uns ein Stück weit mit dem Kreislauf von Anspannung und Entspannung verbunden.
Die Atemmeditation in der Achtsamkeit ist nichts anderes. Ein einfaches Hinsetzen und auf den Atem achten. Möglichst regelmäßig. Denn wenn wir den Kontakt zu uns erst mal verloren haben, dann braucht es viel Energie wieder zurückzufinden.
Wenn sich der Atem auf natürliche Weise beruhigt, kommt das Nervensystem wieder in Balance, der Blutdruck sinkt, und die Gedanken beruhigen sich.
Achtsam werden für den Atem
Einfach indem wir uns unseres Atems bewußt werden, verändern wir wie wir denken, wie wir fühlen, wie wir Dinge um uns herum wahrnehmen, und wie wir auf Dinge reagieren. Wenn wir auf unseren Atem achten, müssen wir nichts analysieren, nichts wissen und nichts verstehen von unserem Tag. Unser ganzes System kommt ganz automatisch wieder in sein natürliches Gleichgewicht. Wir synchronisieren uns sozusagen mit uns selber.
So kann die Praxis achtsam zu atmen - was nichts anderes heißt, als seinen Atem bewußt in der Meditation, im Laufe des Tages und in Streßsituationen als Anker zu nutzen - unsere Lebensqualität nachhaltig steigern.
Wenn unser Atem in seinen natürlichen Fluß kommt, sind wir wieder offen für das, was von außen auf uns zukommt.
Mit zunehmender Übung in Achtsamkeit kann ich mich erinnern, daß ich meinen Atem beruhige, wenn mich gerade etwas sehr aufgeregt hat. In einer direkten Konfrontation, in der ich von Gefühlen übermannt werde, kann ich mit meinem Atem in Beziehung gehen. Wenn ich kurz davor bin vor 50 Leuten eine Rede zu halten, oder wenn ich eine schwere Prüfung bestehen möchte. Wann immer wir mit unserem Atem in Beziehung gehen, erhöhen wir unsere Präsenz im hier und jetzt. Denn der Atem existiert nur im Jetzt. Er verbindet uns mit dem Augenblick und reduziert damit innere Bilder uns Konzepte, die uns in Streßsituationen im Weg stehen können.
Atem und Gesundheit
Ohne einen ruhigen Atemfluß wird der Körper schnell müde und erschöpft. Zudem verlieren wir die Fähigkeit der Welt offen zu begegnen und Lebensfreude zu empfinden. Wenn wir ruhig und tief atmen, setzt sich eine ganze Kettenreaktion in Gang.
Unser Körper entspannt sich, wodurch in allen Zellen mehr Sauerstoff aufgenommen werden kann. Dadurch werden alle Körpersysteme verbessert. Insbesondere das Immunsystem, der Kreislauf, die Verdauung, das Nervensystem und der Herzmuskel. Das Nervensystem kommt wieder ins Gleichgewicht, die Herzfrequenz geht runter, und der Körper kann sich schneller erholen. Dadurch, daß die Adern sich weiten, sinkt der Blutdruck. Es werden vermehrt natürlich Opiate im Körper produziert, wodurch wir besser mit Schmerzen umgehen können.
Die Konzentrationsfähigkeit steigt und auch die Präsenz im Alltag. Gleichzeitig werden Streßhormone im Körper abgebaut.
Durch einen ruhigen und natürlichen Atem kommen Sauerstoff und Kohlendioxid im Körper in Ausgleich, was die Säurebelastung im Körper senkt. Das wiederum schützt vor Infekten und Entzündungen.
All das passiert, wenn wir lernen regelmäßig das zu tun, was wir als Baby schon getan haben - wenn wir mit dem natürlichen, ruhigen Fluß unseres Atems in Verbindung kommen.
Übung
Es ist interessant, in verschiedenen Situationen im Laufe des Tages mit dem Atem in Kontakt zu kommen. Einfach auszuprobieren was die Wirkung ist.
Am besten funktioniert das, wenn man sich schon vorher überlegt, in welchen Situationen man das für sich ausprobieren möchte. Egal welche Situationen du wählst, schreibe am Ende des Tages in ein kleines Tagebuch, was die Wirkung davon war, in den von dir gewählten Situationen mit deinem Atem in Kontakt zu gehen.
Was hat das in der Situation mit dir gemacht?
Wie hast du dich nachher gefühlt?
Was hast du gelernt?
In welchen anderen Situationen möchtest du noch probieren mit deinem Atem in Kontakt zu kommen?