Warum ist gerade der Atem ein so wichtiger Anker in der Achtsamkeit? Was können wir von ihm lernen?
Jeder Ablauf in der Natur ist ein Kreislauf. Nichts geht verloren - alles darf dazu gehören. Ein Atemzug besteht aus dem Einatmen, dem Ausatmen, und wenn man genau hin spürt einer kleinen Pause, bevor der neue Impuls zum Einatmen wieder kommt.
Wenn diese drei Elemente abgeschlossen sind, ist ein Zyklus vollendet, und der nächste Kreislauf beginnt.
Die Elemente des Atmens
Das Einatmen ist eine Energieaufnahme, eine Anspannung, und es verbindet uns mit dem Tun.
Das Ausatmen ist ein Loslassen, eine Entspannung, ein leer werden, und es verbindet uns mit dem Sein.
Und dann gibt es noch diese kleine Pause. Bevor der Körper den nächsten Impuls zum Einatmen hat. Ein leerer Zustand, der mit nichts gefüllt ist. Diese Leere ist das reine Sein. Aus dieser Leere entsteht der Impuls zum nächsten Einatmen.
Diese Pause ist sehr interessant. Wenn man Übungen macht, in denen rein der Körper führt, stellt man fest, daß er nach jeder Aktion eine Pause läßt. Es entsteht ein statischer Moment, in dem nichts passiert. Und dann kommt wieder ein Impuls, dem er folgt und eine Bewegung macht. Der Körper, der immer im Jetzt lebt, folgt also seinen natürlichen Impulsen.
Das kann man auch übertragen auf unser Handeln im Alltag. Auch hier ist die Pause oft genau der Raum, indem der Impuls zu neuem Handeln entsteht. Wenn wir in der Pause aufmerksam sind und nur zuhören, hören wir unsere Intuition.
Unser Handeln
Der Atem ist ein Spiegelbild unseres Befindens. Wenn wir ganz bei uns sind, fließt der Atem rund und tief. Wir haben eine Bauchatmung. Und die Leere vor dem Einatmen existiert.
Je gestreßter, hektischer und angespannter wir werden, desto flacher, gepreßter und schneller wird unser Atem. Die Phasen der Entspannung im Atem werden kürzer, und gehen nicht mehr so tief, und die Leere der kleinen Pause verschwindet. Viele haben auch die Angewohnheit ihren Atem in der Anspannung zu halten und dann ganz gezielt abzulassen. Unser Körper und unsere Emotionen sind komplett verbunden und der Atem ist ein Spiegel dieser Verbindung.
Wir kommen im Alltag sehr leicht in einen Zustand der ständigen Aktivität und Anspannung. Unser Atem bildet das ab - der gleichmäßig fließende Kreislauf ist dann unterbrochen.
Führen durch Atmen
Achtsamkeit lehrt, daß unser Atem nicht nur Ausdruck unseres Zustands ist, sondern daß wir mit unserem Atem auch bewußt führen können. Indem wir uns bewußt auf unseren Atem beziehen. Sobald wir das machen, kommt unser Atem ganz von alleine wieder in seinen natürlichen, tieferen Fluß, und unser ganzes biochemisches System kann dann nicht anders, als auch wieder in eine ausgeglichene Haltung zu kommen, in der alle Phasen des Kreislaufs gleichberechtigt vorkommen dürfen.
Handeln aus dem Sein
Es ist interessant, daß unser Handeln gefühlt immer kurzatmiger wird, je mehr Streß wir haben. Daß das Tun unser Sein bestimmt. Daß wir nicht mehr entspannen können und daß es keine Pause mehr gibt, aus der der nächste Impuls kommt. Wir sind dann nur noch getrieben vom Tun. Wir übersehen unsere intuitiven Impulse, weil die Pause fehlt, und wir uns nicht bewußt Zeit nehmen in sie hinein zu hören.
Handeln aus dem Sein heißt also nichts anderes, als bewußt in der Leere zu verharren, aufmerksam dafür zu sein, woher der nächste Impuls kommt - und ihm dann zu folgen.
Der Impuls kommt nie aus dem Denken alleine. Das Denken ist ständig im Tun. Der Impuls kommt aus der Verbindung von Körper, der immer im Jetzt lebt, dem Herz, daß immer in Verbindung mit allem ist, und dem Denken, daß die Dinge strukturiert und ordnet. Wenn unser Bewußtsein mit allen Dreien in gleich guter Beziehung und Einklang ist, spürt es den richtigen Impuls zum nächsten Handeln.
Diesen Vorgang nennt man auch Intuition.
Der Impuls zum Handeln, der mit allem verbunden ist, was uns ausmacht, entsteht aus der Pause - aus der Leere - aus dem Ausharren im Nichtwissen, aus dem Lauschen in die Stille.
Impulse, die aus der Leere kommen, entsprechen uns, weil alle unseren inneren Systeme ja gesagt haben. Wenn wir aus diesen Impulsen heraus handeln, sind wir gut mit uns verbunden. Nichts in uns boykottiert uns. Handeln aus dem Sein beinhaltet den ausgeglichenen Kreislauf aus Einatmen, Ausatmen und der Pause.
Überforderung
Wenn uns alles zu viel wird, wenn wir uns nicht mehr auskennen, und wieder zu uns kommen wollen, hilft es die Leere zu suchen, und sich in ihr niederzulassen.
Das klingt vielleicht abstrakt - ist aber etwas, was wir üben können, und damit lernen. Ich versuche das in der folgenden Übung ein bißchen zu umreißen.
Übung
Wenn wir überfordert sind, wenn uns alles zu viel ist, dann gibt es zwei Wege, die auf jeden Fall vielversprechend sind: Verlangsamen und uns ungewidmete Zeit nehmen, in der wir ganz bewußt völlig aus einem zielgerichteten Tun gehen. Egal wie unmöglich es genau wegen der vielen Anforderungen scheint. Dieser Weg ist der einzige, auf dem sich unser inneres System wieder ordnen kann. Der einzige, der uns wieder damit in Kontakt bringt, was uns eigentlich in uns lebendig ist, was wir eigentlich brauchen und wollen.
Solange wir damit nicht in Kontakt sind, wissen wir ganz genau was wir alles sollen und müssen. Aber wir wissen nicht mehr was wir wollen. Daher scheint alles gleich wichtig. Erst wenn wir wieder in Kontakt mit dem kommen was wir wollen, können wir Entscheidungen treffen, die uns nachhaltig entlasten.
Der Atem als Anker
Dieser Eintrag stellt den Atem in den Mittelpunkt. Der Atem ist immer bei uns. Wir können uns in fast allen Situationen in unserem Leben bewußt entscheiden mit unserem Atem Kontakt aufzunehmen. Wir bleiben in der Situation trotzdem anwesend. Wir können weiter präsent sein und zuhören. Aber unser System stabilisiert sich aus den oben beschriebenen Gründen. Aber es entsteht eine Pause in der wir zu uns kommen. Eine Pause, in der wir nicht sofort reagieren und handeln.
Mit dem Atem Kontakt aufnehmen - sich diese Pause im Tun zu erlauben, um zu sich zu kommen - diese Möglichkeit haben wir fast immer - wenn sie uns einfällt.
Wer regelmäßig meditiert, erhöht die Wahrscheinlichkeit, daß ihm in stressigen Situationen einfällt, sich im Atem zu ankern.
In sich ruhende Tätigkeiten
Wenn uns die oben beschriebenen Zusammenhänge bewußter werden, haben wir die Möglichkeit uns auch viel bewußter aus Situationen raus zu nehmen, die überfordernd sind. Für eine Stunde, einen Tag, eine Woche etwas zu machen, bei dem wir ganz einfach gut zu uns und ins Sein kommen können. Ohne uns mit dem was uns belastet auseinander zu setzen. Die Möglichkeit sich ganz bewußt in die Stille zu setzen und zu lauschen was unsere Intuition sagt.
Diese Stille muß keine komplette Stille sein. Oft sind es Wanderungen oder manuelle Tätigkeiten wie gärtnern, malen, Rad fahren oder ähnliches, die uns oberflächlich etwas zu tun geben, die aber keine zielgerichtete Aufmerksamkeit brauchen. In ihnen kann unser Geist wandern und sich ordnen. Sozusagen das was zu viel war sortieren. Und irgendwann auf der Wanderung - obwohl - oder gerade weil wir gar nicht daran gedacht haben was uns die ganze Zeit so beschäftigt, kommt ein klarer Gedanke, eine Eingebung aus der Intuition.