Angst ist eigentlich gut. Stress ist auch gut. Viele Dinge sind "eigentlich" gut, die wir am liebsten nicht haben wollen. Aber wenn sie so gut sind, warum können wir sie oft nicht als gut erkennen?
Aus meiner Sicht ist es eine Frage des Gleichgewichts. Um das näher zu beleuchten im Folgenden eine kleine Betrachtung von Stress und Angst. Beide wollen wir oft gar nicht haben. Und doch werden wir sie nicht los, weil sie zu uns gehören. Und meist machen wir die Erfahrung, daß sie umso hartnäckiger werden, je mehr wir versuchen sie los zu werden.
Warum Stress gut ist
Wo wären wir, wenn wir keine Stressreaktion hätten - wenn wir in Gefahrensituationen nicht alle Sinne auf eine Sache ausrichten könnten, und unser Körper und Geist ganz auf den Augenblick fokussiert. Wir könnten uns vor nichts schützen, was für uns bedrohlich ist.
Wir sind da biologisch noch genau so programmiert wie Tiere, die bei Stress entweder flüchten oder kämpfen - und in manchen Fällen auch erstarren. Bei Tieren entlädt sich die Anspannung der Muskeln in Kampf oder Flucht. Ist die Situation vorbei, ist auch der Stress vorbei. Sie grasen dann wieder völlig entspannt weiter. Entsteht eine Situation, in der weder Kampf noch Flucht möglich sind, stellt sich das Tier in Anspannung tot. Sobald die Situation vorbei ist, beginnen die Muskeln des Tieres zu zittern und so die Anspannung aus dem Muskeln zu entlassen. Auch dann ist der Ruhelevel wieder hergestellt. Es bleibt kein Stress zurück.
So geht es uns als Menschen auch. Erleben wir kurze und heftige Stressmomente - aber die nicht so oft, bauen wir Stress in unserem Körper und unserer Psyche ganz schnell wieder ab. Der Situation konnten wir gut begegnen - dann sind wir wieder ruhig und entspannt.
Wodurch wird Stress negativ?
Erleben wir aber längere Phasen von Stress und können ihn nicht mehr abbauen, dann schwächt Stress unser Immunsystem und wir kommen in ein Gefühl permanenter Anspannung - und damit verbundener Angst. Stress wird zu Dauerstress - und dadurch wird es unmöglich Ruhe, Gelassenheit und Ausgeglichenheit zu finden. Stress wird dort zum Problem, wo wir Ausgeglichenheit, Ruhe und Gelassenheit nicht mehr erleben können. Wenn das Gleichgewicht zwischen Anspannung und Entspannung zu einseitig verschoben ist.
Wenn es mir gelingt in eine Balance zwischen Tun und Sein zu kommen - zwischen Stress und Ruhe, dann bin ich auch psychisch im Gleichgewicht. Dann kann ich Stress sogar als positiv und aufregend empfinden.
Warum Angst gut ist
Angst macht uns auf Gefahren in Situationen aufmerksam und sagt uns damit, daß wir vorsichtig sein müssen. Wenn wir auf unsere Angst hören, dann ist sie eine sehr konstruktive Kraft in uns. Wenn wir sie anerkennen, dann hilft sie uns angemessen zu handeln.
Wodurch Angst negativ wird
Oft haben wir das Gefühl, daß wir Dinge machen und durchdrücken müssen, obwohl sie uns Angst machen. Die Angst, die sich ja wichtig nimmt im Willen uns zu beschützen, muß dadurch lauter und stärker werden. Wir hören sie ja offensichtlich nicht.
Mit wachsender Gefahr wächst somit auch die Angst. Solange bis mich die Angst völlig im Griff hat. So verliere ich mein Gleichgewicht aus Angst und Mut. Ich kann nicht mehr mutig sein, weil ich meine Angst so lange ignoriert habe, dass sie mich fest hält.
Nur wenn ich bei Gegensätzen beide Pole gleich achten kann, finde ich ins Gleichgewicht. Beide haben dann im wahrsten Sinn des Wortes das gleiche Gewicht - egal ob ich es will oder nicht.
Ich bin wichtig
Viele Menschen leben den Satz "Ich bin wichtig" so ausgeprägt, daß ihnen andere Leute und ihre Bedürfnisse und Gefühle egal werden. Dadurch kriegt der Satz "Ich bin wichtig" gleich einen sehr negativen Beigeschmack.
Aber was sagt der Satz
Ich bin unwichtig
Ich bin unwichtig sagt, daß meine Bedürfnisse nicht zählen. Daß ich Angst habe ich selber zu sein, weil ich Angst habe sonst nicht mehr dazu gehören zu dürfen. Ich habe das Gefühl mich so wie ich bin nicht zumuten zu können. "Ich bin unwichtig" ist genauso zu viel von einer Sache wie der Satz "Ich bin wichtig."
Ich bin wichtig und du bist wichtig - zu gleichen Teilen. Diese Haltung ist im Gleichgewicht. In dieser Haltung ist Beziehung möglich. In dieser Haltung ist es möglich dem anderen mit Achtung zu begegnen und gleichzeitig Selbstachtung zu haben.
Konflikt entsteht immer dort, wo etwas aus dem Gleichgewicht ist
Konflikt entsteht immer dort, wo etwas nicht im Blick ist, was dazu gehört. Wenn es mir gelingt Gegensätze als Einheit zu begreifen, dann kann ich erkennen daß Angst und Mut zusammen gehören und sich gegenseitig bedingen. Wenn ich dem Tun und dem Sein in meinem Leben gleichberechtigt einen Platz geben kann, und wenn es mir gelingt mich selber so wichtig zu nehmen wie mein Gegenüber - nicht mehr - und nicht weniger - dann bin ich im Gleichgewicht.
Achtsamkeit
Die Ganzheit von allem anzuerkennen ist vielleicht das tiefste Ziel der Achtsamkeit. Alles annehmen zu können wie es ist - in seiner Gegensätzlichkeit- ohne Urteil und Wertung. Inklusive mir selber und aller meiner Gefühle - diese Haltung verbindet mit einem tiefen inneren Gleichgewicht und führt zu großer Präsenz, denn ich komme mit dem was mir begegnet in Einklang.
Weder Angst, Stress, noch Anspannung sind der Feind. Sie werden nur zum Feind, wenn ich zu viel davon habe - wenn auf der anderen Seite der Waagschale etwas fehlt. Wenn ich das erkenne habe ich eine Chance in mein Gleichgewicht zurück zu finden.
Übung:
Wo gibt es in deinem Leben im Moment Konflikte, die belastend sind - und die vielleicht unlösbar scheinen?
Wo hast du im Moment etwas, was dich so belastet, daß du es am liebsten aus deinem Leben verbannen würdest?
Anstatt innere Gefühle oder äußere Ereignisse zu verteufeln, stell dir die Frage was im Moment gerade nicht im Blick ist.
Was fehlt? Wovon ist zu wenig da?
Meist ist es einfach das Gegenteil von dem was gerade das Problem macht.
Wenn wir lernen von dem was gerade zu wenig da ist mehr zulassen können, dann haben wir eine gute Chance wieder in ein Gleichgewicht zu finden, das stabil und nährend ist.
Wir alle haben unsere Gewohnheiten und Persönlichkeiten. Und darum sind wir es gewöhnt, immer in bestimmte Richtungen zu schauen.
Dort, wo wir in Konflikt mit uns selbst oder anderen sind, können wir üben die Lösung dort zu suchen, wo wir normalerweise nicht hin schauen.