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Was passiert eigentlich bei Stress? Teil 4 - Stress und Beziehung


Stress und Beziehung - Achtsamkeit Blog

Nach den körperlichen Auswirkungen von Stress geht es in Teil vier zum Thema Stress um die Auswirkungen auf Beziehung.

Stress entsteht überall, wo wir in Konflikt kommen. Wie in Teil eins der Serie zum Thema Stress schon geschildert, gibt es drei mögliche Reaktionsweisen, wenn wir in einer Begegnung Stress bekommen. Aggression (Kampf), Flucht oder Ohnmacht. Allen drei Reaktionen ist eines gleich. Sie dienen dazu Beziehung zu unterbrechen.

Irgendetwas in der Begegnung wird vom emotionalen Gehirn als gefährlich wahrgenommen. Also schalten alle emotionalen Systeme auf ein Programm, so schnell wie möglich aus der Situation raus zu kommen.

Egal, ob wir flüchten wollen, aggressiv werden oder erstarren, emotional sind wir in der Stressreaktion immer mit einem Gefühl der Angst verbunden. Und die wollen wir möglichst schnell loswerden. Das bedingt aber auch daß Beziehung bei Aufkommen von Stress zwangsläufig unterbrochen wird. Wenn ich Stress bekomme, ist immer meine Grenze verletzt. Bei allen drei Reaktionsformen. Nur wenn ich aggressiv werde, nehme ich das oft nicht so klar wahr. Jede der drei Reaktionsformen will die Situation so schnell wie möglich beenden. Wie es dem anderen geht und was seine Bedürfnisse sind, interessiert in Stressreaktion nicht. Und so verliere ich in der Stressreaktion meine Fähigkeit zur Empathie.

Dadurch verliere ich auch die Achtung vor meinem Gegenüber und habe Urteile über ihn, die aber nur in mir entstehen. Würde ich nachfragen und mich dafür interessieren, wie die Welt aus der Sicht des Anderen aussieht, würden sich die Urteile schnell als falsche Annahmen herausstellen.

Es ist mir also nicht mehr möglich zuzuhören - mit dem Ziel den anderen zu verstehen. Emotional geht es einzig und allein darum, möglichst schnell aus der Situation raus zu kommen.

Die drei Reaktionsmuster und ihre Eigenheiten im Einzelnen:

Aggression (Kampf)

In der Aggression mache ich mich größer, als ich bin. Dadurch entsteht eine eindeutige Grenze. Aggression grenzt stark ab. Aggression ist in der Weise also der Versuch, die eigene Grenze zu schützen, in dem ich mein von mir weg stoße, beziehungsweise dominiere und dadurch die Situation zu meinen Bedingungen beende.

Dabei ist der Fokus ganz auf dem anderen. Der andere ist schuld. Wer in der Aggression ist, fühlt sich oft ganz im moralischen Recht ausufernd zu sein. Und zwar aus dem Gefühl heraus, verletzt worden zu sein. Diese Verletzung ist sozusagen die Legitimation für die Aggression, für Vorwurf und Anspruch an den anderen. Die Aggression zielt darauf den anderen zu einem Verhalten zu zwingen, um sich dem was die Verletzung ausgelöst hat, nicht mehr stellen zu müssen.

In der Aggression bin ich so auf den anderen fokussiert, daß ich mich selbst nicht mehr wahrnehme.

Wichtig ist zu sehen, daß jede Aggression aus einer Verletzung der eigenen Grenze erfolgt. Aggressiv wird nur jemand, der Angst hat. Niemand wird aggressiv, weil er ein böser Mensch ist.

Oft glaubt der Aggressive, daß er in seiner Aggression seine Verletztheit sichtbar macht. Aber er verdeckt sie in Wirklichkeit durch den Angriff. Man muss erst wieder damit in Kontakt kommen, was das verletzte Bedürfnis in einem ist. Der Auslöser für die Verletzung liegt beim anderen. Aber die Ursache für die Verletzung liegt in einem selber. Wer sich zu diesem Thema vertiefen möchte, dem empfehle ich das Buch "Was deine Wut dir sagen will" von Marshall Rosenberg, dem Begründer der gewaltfreien Kommunikation.

Um sein eigenes verletztes Bedürfnis wieder wahrnehmen zu können, muss man sich zuerst beruhigen. Im Stress gibt es keinen Weg dort hin.

Flucht

Flucht ist die entgegengesetzte Reaktion zur Aggression. Wenn ich flüchten möchte, dann mache ich mich kleiner, als ich bin. Ich fühle mich unterlegen und habe das Gefühl, daß ich mich nur dadurch aus der Gefahr retten kann, daß ich möglichst schnell wegkomme.

Wenn ich in diesem Modus bin, kann ich dem anderen nicht mehr in die Augen schauen. Ich habe keine Grenze mehr. Ich habe das Gefühl, der andere steht schon in mir drinnen. Im Gegensatz zur Aggression, die ganz auf den anderen fokussiert ist, bin ich hier ganz auf mich fokussiert und mit mir selber beschäftigt.

Also werde ich versuchen nicht nur jeden Augenkontakt zu vermeiden, sondern auch möglichst wenig zu sagen, um ja nicht länger in der Situation bleiben zu müssen.

Der Aggressive fühlt sich dadurch provoziert und hat das Gefühl, sein Gegenüber will sich der Sache nicht stellen. Er kann nicht erkennen, daß der andere verletzt ist und Angst hat. Genauso wie der, der flüchten will nicht erkennen kann, daß der Aggressive aus der Verletzung heraus handelt.

So ist auch vonseiten dessen, der flüchten möchte keine Empathie möglich. Während der Aggressive versucht den Konflikt aufrechtzuerhalten, möchte der Flüchtende nur schnell weg.

Ohnmacht

Die Ohnmacht in einer Konfliktsituation entsteht dort, wo weder Flucht, noch Kampf möglich sind. Eine Partei erstarrt sozusagen im Konflikt. Sie rührt sich nicht mehr, fühlt nichts mehr und kann auch nicht mehr denken.

Diese Option stellt sozusagen den maximalen Stresslevel dar. In diesem Modus kann man auch ganz schreckliche Situationen ertragen, weil das eigene Spüren und Denken komplett abgedreht ist. In diesen Modus kommen wir durch tatsächlich lebensbedrohliche und auch durch als lebensbedrohlich empfundene Konflikte, aus denen wir uns nicht aus eigener Kraft befreien können.

Wir kennen diese Reaktion auch aus dem Alltag, wenn gar nichts so Schlimmes passiert. Da unser emotionales Gehirn assoziativ funktioniert, verbindet es blitzschnell Erfahrungen aus der Vergangenheit mit jetzigen Situationen. Ist ein Element in der Begegnung, das an eine alte schlimme Ohnmachtserfahrung erinnert, kann die Ohnmacht sofort wieder ausgelöst werden, ohne, daß wir uns dagegen wehren können.

Es gibt letztlich natürlich einen Weg, sich bewusst aus der Ohnmacht zu befreien - so wie es auch einen Weg gibt, aus der Aggression oder dem Fluchtmodus wieder zu sich zu kommen. Aber dazu komme ich erst in den späteren Teilen dieser Serie.

Beziehung wird unterbrochen

Es wird deutlich, Verständigung und Beziehung sind also im Konfliktmodus nicht möglich. Beide Seiten sind maximal gestresst. Und können sich zwangsläufig nicht erreichen. Denn das Ziel jeder Stressreaktion ist die Unterbrechung von Beziehung. Es sind lediglich drei Strategien sich gegen das, was gerade passiert ist zu wehren, weil es Angst macht.

Keine ist der anderen moralisch überlegen. In keiner besitze ich die Fähigkeit den anderen wirklich wahrzunehmen und zu verstehen.

Beziehung wird erst wieder möglich, wenn der Stresslevel gesenkt ist, und ein Austausch zu dem Thema möglich wird, worum es geht.

Dauerstress und Beziehung

Aus dem Geschriebenen wird klar, daß Stress immer zu Verlust von Beziehung führt. Wird Stress zu Dauerstress, führt das unweigerlich zu einer Veränderung der Persönlichkeit, weil es zu immer weniger positiven Beziehungserlebnissen kommt. Und das in der Regel sowohl in beruflichen als auch in privaten Beziehungen. Das wiederum steigert den Stress. Und ein Teufelskreis für weiteren Stress ist in Gang gesetzt.

Bin ich permanent in Beziehungen in Stress, kann ich nicht verstehen, warum mich der oder die anderen nicht verstehen können. Ich nehme alles persönlich. Und ich verliere die Fähigkeit zu merken, wie gestresst ich bin. Weil ich den entspannten Zustand und den Einklang, mit dem was ist, gar nicht mehr erlebe.

So führt Dauerstress zu einer emotionalen Erschöpfung, die irgendwann zu psychischen Zusammenbrüchen und zu körperlichen Krankheitssymptomen führt.

Im Stress kann ich keine Beziehung erleben. Erst die Senkung des Stresslevels macht mich wieder zugänglich dafür die Welt auch aus der Sicht des anderen verstehen zu können. Und das ist die Basis jeder Beziehung.

Beziehung findet dort statt, wo deine Wirklichkeit in mir stattfinden darf, ist eines meiner Lieblingszitate. Vereinfacht gesagt heißt es, Beziehung findet dort statt, wo ich das, wie mein Gegenüber fühlt, in mir fühlen kann, ohne daß in mir Angst entsteht.

Überall wo das, aus welchen Gründen auch immer, nicht möglich ist, regiert Konflikt und Beziehungslosigkeit, Vorwurf, Anspruch und unversöhnliche Standpunkte.

Mir ist alles zu viel!

"Mir ist alles zu viel" wird oft als die Ursache von Stress gesehen. Und doch kam diese Sicht in meiner Reihe über Stress noch gar nicht vor. Es ist ganz natürlich, daß jedes "zu viel" Angst macht und Stress erzeugt. Die Angst, es nicht mehr hinzukriegen, nicht zu genügen, nicht gut genug zu sein und so weiter.

Es liegt in der Eigenverantwortung, bei einem "zu viel" gut mit sich umzugehen und sich "weniger" zuzugestehen. Doch genau dieses gut mit sich umgehen, bringt uns sehr schnell in soziale Situationen in der Familie oder im Beruf, wo wir es nicht leicht haben, zu uns zu stehen und klar zu kommunizieren, daß uns Dinge zu viel werden. Da gibt es die Angst, wenn wir uns melden, daß wir nicht gehört werden, oder Urteile über uns entstehen oder das Gefühl, daß ich selber nicht so wichtig bin - Hauptsache den anderen geht es gut.

Letztlich sind es beim "zu viel" dann doch wieder diese sozialen Situationen, die uns wirklich Stress machen.

Denn könnten wir, ohne in Konflikt zu kommen, einfach weniger machen, dann würden wir es einfach machen. Der wirkliche Konflikt wird immer in Beziehung erlebt.

 

Vorausschau

Der nächste Teil dieser Serie zum Thema "Was passiert eigentlich bei Stress", führt uns zu einer Frage, die bis jetzt noch gar nicht genau beleuchtet wurde: Wie kommt es eigentlich dazu, daß ich Stress habe?

Danach werden sich die beiden letzten Teile der Serie noch dem widmen, wie ich aus der Sicht der Achtsamkeit mit Stresssituationen besser umgehen kann und welche Möglichkeiten es gibt, Dauerstress in meinem Leben nachhaltig abzubauen.


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