Achtsamkeit ist für mich ein Weg, wieder ganz konsequent mit meiner eigenen Wahrnehmung in Kontakt zu kommen. Und damit auch mit meinem eigenen Tempo und meinen eigenen Bedürfnissen.
Seit Jahren habe ich in meinem Computer eine To Do Liste. Alles was noch zu tun ist, alles, was liegen geblieben ist, alles, woran ich mich erinnern möchte landet in dieser To Do Liste. Und es liegt irgendwie in der Natur der To Do Liste, daß immer mehr drin steht als man schafft.
Hatte ich mal einen ruhigen Moment, in dem gerade nichts zu tun war, dann hat ein Blick auf die To Do Liste genügt, und schon war wieder was zu tun. Oder zumindest gibt es immer eine Liste mit Dingen, die auf mich warten - eine Liste mit Dingen, die mich daran erinnern, was in meinem Leben unerledigt ist.
Eines Tages blieb die Liste ungeöffnet
An einem schönen Tag, den ich einfach nur mal nichts von allem wissen wollte, was noch alles auf mich wartet, hab ich meine To Do Liste einfach zu gelassen. Einfach nicht reingeschaut. Wunderbar.
Ich hab dann auch am nächsten Tag und in der nächsten Woche und im nächsten Monat nicht rein geschaut. Seit drei Monaten jetzt schon nicht mehr.
Seitdem mache ich die Dinge, die mir jetzt im Moment wichtig scheinen. Das ist das was Platz hat. Vom Rest möchte ich nichts wissen.
Ich bin drauf gekommen, daß ich meine Dinge auch so erledige. Aber einfach dann, wenn ich sie erledigen möchte - und nicht, wenn meine Liste es mir sagt und ich mich maximal effizient organisiere.
Ich muss sagen, mein Leben ohne To Do Liste ist wesentlich entspannter. Ich habe am Ende des Tages das Gefühl, daß ich mein Tagewerk erledigt habe. Es ist alles erledigt.
Die mittlerweile wahrscheinlich hunderten To Do's auf der Liste geben mir nicht mehr das Gefühl ständig hinten nach zu sein. Auf einmal ist weniger Stress da. Und ich denke mir, daß alles was wirklich wichtig ist, mir schon einfällt. Der Rest ist mir egal geworden.
Wahrnehmung sammeln
So hab ich wieder ein Stück Wahrnehmung zurückgewonnen.
Seit mich die Achtsamkeit begleitet, esse ich auch nicht mehr einfach, nur weil gerade alle anderen essen - sondern wenn ich merke, daß ich hungrig bin. Ich höre auf zu essen, wenn ich satt bin. Und nicht, wenn der Teller leer ist.
Ich strecke mich nicht im Fitnessstudio um 22h00, sondern tagsüber dann, wenn ich merke, daß meine Muskeln ein wenig Dehnung gebrauchen können.
Wenn ich laufe, dann höre ich auf meinen Körper und meinen Atem, statt auf meine Pulsuhr zu schauen ob ich in irgendeiner optimalen Zone laufe. Und ich mache dabei die Erfahrung, daß ich auch ohne Pulsuhr merke, ob mein Herz schon im Hals schlägt.
Ich schlafe nicht mehr 5 oder 6 Stunden und wundere mich, daß ich dann müde bin und versuche mich mit Kaffee am Leben zu halten. Ich schlafe meine acht Stunden, weil ich dann ausgeschlafen bin und wach und aufnahmefähig. Ich brauche dazu keinen Schlafphasenwecker. Es ist letztlich ziemlich eindeutig, wie es sich anfühlt, wenn man gut ausgeschlafen ist. Mein Verdacht ist, wir brauchen den Schlafphasenwecker nur, weil wir von Jahrzehnt zu Jahrzehnt weniger schlafen - was tatsächlich so ist. Und dann - statt mehr zu schlafen, versuchen wir uns mit so einem Wecker zu optimieren.
Alle unseren lieb gewonnenen Gadgets versprechen uns, daß das Leben mit ihnen leichter wird. Da sie schnell sind, sparen wir Zeit. Und wie wir alle sehen, ist das Gegenteil der Fall. Alle unsere Gadgets beschleunigen uns ständig und trennen uns von unserer Wahrnehmung.
Und so sammle ich Stück für Stück meine Wahrnehmung wieder ein. Damit ich in meinem Tempo und mit meinen Bedürfnissen in Einklang bin.
Mit mir selber in Beziehung zu sein, mich zu spüren, gut mit mir selber umzugehen und mich nicht mehr beschleunigen als es gut für mich ist - das ist für mich ein ganz wesentlicher Teil von praktisch gelebter Achtsamkeit.
Nur so schnell zu sein, daß ich das was ich mache auch emotional und verstandesmäßig verarbeiten kann.
Jeden Tag mehr als eine Verabredung mit mir selber zu haben - mit meinen Bedürfnissen, mit meiner Lust oder Unlust - mit dem wie es mir geht und dabei freundlich und gut mit mir umzugehen, das verbinde ich in meinem Alltag mit Achtsamkeit.
Es gibt noch einiges, wo ich das Zu Viel eindämmen möchte, das mich innerlich unrund macht. Ich kaufe mir ständig neue Bücher, obwohl ich die alten noch nicht gelesen habe. Das ergibt auch so eine Art To Do Liste. Ich stell mir gerade vor, wenn ich ein Buch zu Hause liegen hätte, das ich noch nicht gelesen habe. Eines. Und nicht fünfzig. Schöne Vorstellung. Wieder ein bißchen mehr bei mir selber und meiner Wahrnehmung.
Übung:
Sich zu fragen, wo man selber von seiner Wahrnehmung getrennt ist, ist eine schöne, praktische Übung um mit sich selber und seinen Bedürfnissen wieder in Kontakt zu kommen.
Wo spüre ich mich nicht mehr? Wo habe ich den Kontakt zu mir selber verloren, weil meine Aufmerksamkeit ständig woanders ist als bei mir?
Wo finde ich mich wieder? Und was steht diesem Kontakt mit mir selber im Weg? Sich dieser Frage neugierig auszusetzen ist die Übung für diese Woche.