Können wir uns ändern? Und wenn ja wie? Das ist eine Frage, auf die man kaum eine befriedigende Antwort bekommt.
Oft ist die Idee sich zu verändern mit der Vorstellung verbunden, daß man dann ja aufgeben muss, wer man ist. Und das macht Angst. Zudem ist es nicht so wirklich bekannt, wie Veränderungsprozesse funktionieren. Und so bleibt man im Zweifelsfall dann doch eher so wie man ist - auch wenn manche Muster einen immer wieder in Schwierigkeiten bringen.
Unsere Gefühle sind Gewohnheiten
Unser ganzes Gefühlsleben wird unbewusst gesteuert. Von unserem emotionalen Gehirn. Das ist ein Teil unseres Gehirns, der schneller auf unsere Umwelt reagiert als unser denkendes Gehirn. So merken wir, daß sich unsere Gefühle ständig ändern - je nach Situation in der wir sind - und je nachdem mit wem wir zusammen sind. Denn Gefühle regeln unsere Beziehungen. Und zwar so schnell, daß wir noch gar nichts gedacht habe - da sind wir schon in einem neuen Gefühl.
Wie wir dabei auf jemanden reagieren hängt immer von unserer persönlichen Geschichte ab. Davon, was wir in unserer Vergangenheit erlebt haben. Und ob wir ganz persönlich eine Person daher als angenehm oder als unangenehm wahrnehmen.
Das Gleiche gilt aber nicht nur für Begegnungen mit Menschen, sondern auch für Ereignisse.
Wenn in Urlaub fahren in der Vergangenheit immer die tollste Zeit des Jahres war, dann werde ich mich auf Urlaub freuen. Wenn in Urlaub fahren immer mit der Erfahrung verbunden war, daß endlos Spannung in der Luft lag, die immer wieder in heftigen Streit überging, dann werde ich beim Thema Urlaub eher ausweichen.
Die Erfahrung Urlaub ist dann im emotionalen Gehirn mit unangenehmen Gefühlen verbunden.
Die Amygdala
Unser emotionales Gehirn hat sozusagen einen Brandmelder für Gefahr - das ist die Amygdala. Wenn sie Alarm schlägt, dann spannen wir uns an, bekommen Stress und wollen die Beziehung zur Quelle des Stresses unterbrechen. So schützen wir uns vor allem was unangenehm und gefährlich ist.
Das ist im Prinzip eine großartige Sache. Doch es kann sein, daß die Urlaube mit meiner Familie in der Kindheit immer voller Streit und Spannung waren. Und jetzt habe ich als Erwachsener immer noch diese Warnmeldung - obwohl vielleicht gar nichts darauf hinweist, daß ich mit meinem heutigen Partner im Urlaub streiten würde.
Die Erfahrung zeigt, auch wenn ich das weiß, kann ich aber dieses unangenehme Gefühl nicht ausstellen. Es ist stärker als ich. Je mehr ich versuche es loszuwerden, desto stärker hat es mich in Folge oft im Griff.
Das wäre also ein typischer Fall, wo ich mich gerne ändern würde. Doch ich kann mit meinem Verstand meine Gefühle nicht kontrollieren. Vielmehr färben meine Gefühle mein Denken ein. Denn sie sind immer schon vorher da.
Wie kann ich also aus diesem Kreislauf rauskommen? Dazu erst ein Blick ins emotionale Gehirn.
Unser emotionales Gehirn
Unser unbewusstes emotionales Gehirn merkt sich im Langzeitgedächtnis alle Erfahrungen, die besonders emotional waren. Die guten und die schlechten. Und es scanned blitzschnell jede Situation um festzustellen, ob wir in ihr emotional sicher oder in Gefahr sind. Es braucht dazu nur hundertstel Sekunden. Das ist eine brillante Fähigkeit. Dieser Scanner läuft den ganzen Tag und unser emotionales Gehirn steuert ständig passend dazu unser Gefühlsleben. Es schaltet nämlich das Gefühl ein, das uns in der Vergangenheit in einer ähnlichen Situation am besten beschützt hat.
Unsere bewusste Aufmerksamkeit wäre damit heillos überfordert. Unser emotionales Gehirn hat ständig "alles" in der Aufmerksamkeit. Es wertet Informationen jedes Sinneskanals aus. Sitzen wir in einem Lokal, hören wir nicht was an den Tischen um uns herum gesprochen wird. Aber sobald jemand an einem dieser Tische unseren Namen sagt, geht unsere Aufmerksamkeit automatisch dort hin. Unser emotionales Gehirn macht die Meldung, daß das für uns wichtig sein könnte.
Wenn ich in der Stadt immer den gleichen Weg mit dem Auto fahre, muss ich nicht darüber nachdenken wie ich fahre. Mein emotionales Gehirn fährt automatisch. Habe ich aber auf dem Weg irgendwo mal einen Unfall gehabt, wird mein emotionales Gehirn ein unangenehmes Gefühl einschalten, wenn ich in die Nähe dieses Punktes komme und ich werde dadurch einen neuen Weg wählen. Das passiert, ohne daß ich es bewusst mitbekomme. Denn das emotionale Gehirn arbeitet ja auf einer unbewussten Ebene.
So präzise regelt unser emotionales Gehirn unser Leben und steuert so 95% unserer Alltagsentscheidungen über gefühlsmäßige Reaktionen.
Was bedeutet das aber jetzt in Bezug auf die Sache mit dem Urlaub?
Unser emotionales Gehirn lernt von allein nicht um
Hat unser emotionales Gehirn mal eine Vermeidungsgewohnheit, lernt es leider nicht mehr von allein um. Denn es erlaubt uns nicht mehr in Bezug auf bestimmte Situationen eine gute Erfahrung zu machen. Entweder vermeiden wir die Situation ganz - oder unsere Erwartungshaltung läßt uns ständig Streit und Spannung im Urlaub erwarten. Und dadurch erzeugen wir beides geradezu. Unser emotionales Gehirn kann nicht erkennen,, daß der Urlaub mit dem jetzigen Partner vielleicht großartig wäre.
Im Gehirn ist Urlaub = Gefahr als fixes Konzept angelegt. Und zwar in Form eines neuronalen Musters im Gehirn. Kommt das Thema Urlaub auf - feuern verschiedene Neuronen im Gehirn gleichzeitig und bilden einen Schaltkreis. Je emotionaler die Erfahrung war und je öfter der Schaltkreis benutzt wird, desto stärker ist er ausgeprägt. Waren alle Urlaube in der Kindheit schrecklich, habe ich eine neuronale Autobahn im Hirn.
Diese emotionale Reaktion löst eine tiefsitzende Gewohnheit aus. Man nennt sie auch Beziehungsmuster. Die sind mit negativen Glaubenssätzen belegt. Und die können der tatsächlichen Erfahrung ziemlich im Weg stehen.
Die Möglichkeit zur Veränderung
Die Achtsamkeit hat einen eigenen Weg Gewohnheiten aufzulösen und durch neue zu ersetzen. In der Achtsamkeit können wir "bewusst" innehalten und mit einer Erfahrung sein ohne sie zu werten und ohne gleich handeln zu müssen.
Ich kann also bewusst wahrnehmen, "Urlaub löst bei mir immer diese Gefühle aus". Ohne daß ich deswegen gleich handeln muss. Ich kann bewusst wahrnehmen, daß ich gleichzeitig glaube, daß ich mit meinem Partner einen schönen Urlaub haben könnte.
Wenn ich mich dieser Erfahrung achtsam aussetze, wächst die Möglichkeit meines bewussten, denkenden Gehirns einer anderen Entscheidung zuzustimmen. Ich komme in eine reflektierte Haltung und bleibe nicht mehr allein in einer emotionalen Reaktion. In der reflektieren Haltung kann ich verstehen, daß es mir mit dem Thema Urlaub nicht gut geht. Wegen der Erfahrungen aus der Kindheit. Ich kann bewusst unterscheiden, daß mein Partner und ich anders in Beziehung sind als es meine Eltern waren.
Und so kann ich bewusst entscheiden mich der Erfahrung neu und möglichst ohne Vorurteile zu öffnen. In dem Wissen, daß meine Gefühle mir etwas anderes erzählen werden. Die ändern sich nicht einfach so, nur weil ich eine Entscheidung treffe oder einen Zusammenhang gesehen habe.
Mein emotionales Gehirn kann sich umbauen
Gelingt es mir, meinen Urlaub in diesem Bewusstsein anzugehen und erlebe ich dabei einen schönen Urlaub, passiert etwas Interessantes im emotionalen Gehirn. Es macht eine neue überraschende emotionale Erfahrung in Bezug auf Urlaub. Wenn diese emotionale Erfahrung gut ist, legt mein Gehirn einen neuen neuronalen Schaltkreis an, der Urlaub mit einer guten emotionalen Erfahrung verbindet.
Dieser Schaltkreis ist noch nicht so eine große Autobahn. Aber vielleicht schon ein kleiner Feldweg. Wiederhole ich positive Urlaubserfahrungen, wird der Feldweg zur Landstraße und wächst weiter. Und es kommt langsam zu einem Erleben in der Urlaubsplanung, wo beide Gefühle auftauchen können. Das wird sicher ganz schrecklich und das wird sicher ganz super.
Erlebe ich wiederholt einen schönen und harmonischen Urlaub, kann der neue Schaltkreis stärker werden als der alte. Dann baut sich der alte Schaltkreis ganz von allein ab. Mit dem Thema Urlaub ist keine Angst und keine Gefahr mehr verbunden.
Damit hat sich mein emotionales Gehirn umgebaut. Urlaub als etwas Schönes zu empfinden worauf ich mich freue, ist so zur neuen Gewohnheit geworden. Die alte Gewohnheit ist sozusagen gelöscht.
In der Hirnforschung nennt man diesen Prozess Neuroplastizität. Unser unbewusstes emotionales Gehirn kann sich jederzeit umprogrammieren. Aber es braucht dazu emotionale Erfahrungen, die es abspeichert.
Einfache Gedanken und rationale Erklärungen beeindrucken unser emotionales Gehirn nicht. So machen wir immer wieder die Erfahrung, daß wir schon lange wissen, wie es anders besser ginge. Aber es hilft nichts. Es führt nicht zu einem anderen emotionalen Erleben. Nur erlebte Erfahrung kann diese Muster ändern.
Unbewusstes durch Bewusstsein ergänzen
Gewohnheiten mithilfe von Achtsamkeit zu ändern ist ein bewusster Prozess. Ein Prozess, bei dem ich durch eine bewusste Haltung und bewusstes Handeln Platz für neues lernen im emotionalen Gehirn schaffe. Durch neue Erfahrungen kann mein emotionales Gehirn dann umlernen.
In dieser Haltung ist es wichtig, die vorhandenen Gefühle zu fühlen und anzuerkennen. Sie auch als wichtige Informationsgeber zu sehen. Aber die schnelle unbewusste emotionale Reaktion wird durch reflektiertes Handeln ergänzt.
Unsere ganze Persönlichkeit ist in gewisser Weise nichts weiter als eine Gewohnheit, die in unserem Gehirn in neuronalen Schaltkreisen angelegt ist. Durch Achtsamkeit läßt sich unsere Persönlichkeit überall dort erweitern, wo sie belastend eng geworden ist. Schritt für Schritt, Gewohnheit für Gewohnheit.
So ist nachhaltige Veränderung möglich und so wird Wachstum möglich. Beziehungsmuster, die uns mehr im Weg stehen, als daß sie uns dienen sind zu jeder Zeit unseres Lebens veränderbar.
Gelingt diese Veränderung, lerne ich Situationen und Menschen emotional anders zu begegnen. Und diese Erfahrung bringt mich immer ein Stück mehr in Beziehung.