Die 9 Aspekte der Achtsamkeit sind so etwas wie eine Sammlung der Grundwerte, mit denen die Achtsamkeit aufs Leben schaut. Der heutige Beitrag ist zum Thema "Nicht Urteilen".
Jedes Urteil, jede Wertung und jeder Vorwurf trennt.
Verbindung geht verloren, die Fähigkeit zu Empathie geht verloren. Ich verliere im Urteil über jemand anderen die Fähigkeit die Welt aus seinen Augen verstehen zu wollen.
Egal ob ich über jemanden anderen urteile oder über mich selber. Die Wirkung ist immer die gleiche - Beziehung geht verloren.
Die Haltung der Achtsamkeit richtet sich in allem danach aus, wie ich mit mir selber und anderen gut in Beziehung sein kann. Daher ist das Thema Wertung und Urteil so wichtig.
Wie geht es mir, wenn ich beurteilt werde?
Jeder kennt das Gefühl der Enge und Angespanntheit, wenn er bewertet und beurteilt wird. Diese Anspannung kommt in der Tiefe aus dem Gefühl vielleicht nicht genug zu sein. Ich kriege die Angst, daß ich so wie ich bin vielleicht nicht zugehörig sein darf.
Wachse ich in einer Familie auf, in der über mich und meine Art zu sein viel geurteilt wird, beginne ich mich zu verstecken - wichtige Teile von mir zu leugnen und nicht mehr herzuzeigen. Auf jeden Fall vor anderen und oft auch vor mir selber.
Ich schäme mich dann so zu sein wie ich bin. Ich lebe mit schlechtem Gewissen, wenn ich in einer Weise handle, die meinen Eltern nicht gefällt.
Wenn meine Eltern über mich urteilen, muss ich als Kind annehmen, daß etwas mit mir nicht stimmt, so wie ich bin. Dass ich so wie ich bin nicht richtig bin. So trennt mich das Urteil meiner Eltern, Kindergärtner und Lehrer von mir selbst.
Urteil trennt mich von Beziehung
Urteil trennt mich also von Beziehung,
Denn ich bekomme Angst vor Nähe und Beziehung - Angst, daß wieder über mich geurteilt wird.
Wenn über mich in der Kindheit viel geurteilt wurde, habe ich wenig Selbstwert. Ich finde wenig Selbstvertrauen und auch wenig Vertrauen in andere. Denn beides hängt eng zusammen.
Urteilen über andere
Urteile ich über andere, tue ich das in der Regel aus meiner Perspektive. Ich schaue auf die Situation und komme zu Schlüssen, warum der Mensch vielleicht so gehandelt hat, wie er es getan hat.
Doch diese Interpretation ist nie wirklich in Beziehung mit den tatsächlichen Motivationen des Anderen.
Und so sagt ein Urteil über jemand anderen in gewisser Weise mehr über mich aus als über den Menschen, den ich verurteile.
Konflikt und Urteil
Wir kennen die Beweggründe anderer zu handeln nie. Wir können nur mutmaßen.
Sind wir mit Jemandem gut in Beziehung, gehen wir in der Regel davon aus, daß der andere aus guten Motiven heraus handelt. "Mein Mann bringt mir Blumen mit, weil er mir eine besondere Freude machen möchte."
Sind wir mit jemandem in Konflikt, ändern sich die Annahmen sehr schnell. "Mein Mann versucht nur sein Gewissen rein zu waschen, wenn er mir Blumen kauft. Er will sicher etwas Bestimmtes erreichen und versucht mich zu manipulieren. Er versucht von etwas abzulenken......"
Solche Gedanken geistern ganz schnell in uns herum, wenn wir mit unserem Partner in Konflikt sind. Außerdem sprechen wir weniger mit einander, wenn wir in Konflikt sind. Wir gehen uns aus dem Weg und beäugen uns misstrauisch.
Und so steigern sich die negativen Annahmen über die Motive des Partners. Die inneren Urteile wachsen oft auf beiden Seiten und man verliert die Fähigkeit den anderen zu fragen und ihm zuzuhören. Man hält die eigenen inneren Urteil für die Wahrheit.
Konfrontiert man den Partner mit diesen "inneren Wahrheiten", ist der zu Recht empört. Denn er hatte ja ganz andere Motivationen. Wie kann ihn der andere nur so sehen.
So eskaliert der Konflikt.
Urteilen aussetzen - wie geht das?
In der Achtsamkeit lerne ich wahrzunehmen, daß es ein inneres Urteil gibt, aber ich gehe nicht davon aus, daß es der Wahrheit entspricht. Ich lerne mein inneres Urteil auszusetzen. Sozusagen eine Pause Taste zu drücken.
Während dieser Pause kann ich mich mit der Bewusstheit verbinden, daß ich die Motive des anderen nicht kennen kann. Ich kann meinen Mann aber fragen, wie er auf die Idee gekommen ist, mir einen Blumenstrauß zu schenken.
Wenn ich dann bereit bin, beim Zuhören wirklich bei ihm zu sein, statt bei meinen inneren Annahmen, dann lerne ich die Welt aus seiner Perspektive kennen.
In der Regel verschwindet das innere Urteil dann ganz von allein und man findet wieder in Beziehung.
Nur wenn es über längere Zeit tiefe Verletzungen gegeben hat, bei denen kein gegenseitiges Verständnis möglich war, braucht es Zeit, bis man im Zuhören wieder Vertrauen finden kann.
Nicht zu urteilen heißt, sich selbst die Chance zu geben in Beziehung zu bleiben. Egal ob sich das Urteil gegen mich selber richtet oder gegen andere.