Vor kurzem habe ich ein sehr beeindruckendes Interview mit dem deutschen Shaolin-Mönch Shi Heng Yi gesehen. Das Interview selber kann ich in seiner ganzen Länge sehr empfehlen. Es deckt eine ganze Reihe von Themen aus der Sicht der Shaolin Schule des Buddhismus ab.
Diesen Beitrag möchte ich dem widmen, was mich in dem Video am meisten persönlich berührt hat. Das war die Passage zum Thema Lehrer und lernen.
In der ihm eigenen klaren Art hat Shi Heng Yi ein paar Punkte zusammengefasst, die mir sehr gefallen haben.
Fehler
Es ist nie ein Problem, einen Fehler zu machen. Aber wenn ich ihn erkannt habe, kann ich schauen, wie ich den Fehler vermeide. Und wenn mir die Aufgabe einfach zu groß ist, mich überfordert oder sie mir Angst macht, dann brauche ich einen guten Lehrer.
Ein Lehrer
Ein guter Lehrer ist jemand, der diese Aufgabe schon gemeistert hat, der Erfahrung mitbringt. Egal in welchem Bereich meines Lebens ich nicht weiter komme - es gibt immer jemand, der diese Erfahrung schon gemacht hat.
Egal, wo ich meinen Lehrer finde, ob das meine Eltern, Freunde, ein Buch, ein Song, ein Trainer, Coach, Therapeut, ..... Ich kann mich immer auf die Suche nach einem Lehrer machen, durch den ich etwas erfahren kann, das mir in meiner Lebenserfahrung noch nicht zugänglich ist.
Jeder gute Lehrer macht sich überflüssig
Ein Lehrer ist nicht jemand, der mir sagt, wie ich etwas machen kann, sondern jemand, der mir ermöglicht, etwas aus mir heraus so zu lernen, dass es für mich paßt. So macht sich jeder gute Lehrer mit der Zeit überflüssig.
Den Lehrer finden, den ich gerade brauche
Wenn ich mein Leben lang lernen und wachsen möchte, besteht die Aufgabe also darin, immer wieder neue Lehrer zu finden, die etwas verkörpern, das ich lernen möchte. Durch deren Erfahrungen ich in neue Erfahrungen kommen und meinen Horizont erweitern kann.
Und genau dieser Gedanke berührt mich gerade sehr.
Ich schaue zurück auf ein Leben, in dem ich über lange Zeit keine Lehrer hatte, die die Fragen beantworten konnten, die mich beschäftigt haben. Aber je länger ich gelebt habe, umso mehr Lehrer habe ich um mich versammelt. Und ich sehe, wie persönlich meine Beziehung zu ihnen ist. Egal, ob ich sie jemals persönlich kennengelernt habe oder nicht.
Als ich mich da rein gefühlt habe, habe ich dann gesehen, dass ich mir auch schon sehr früh in meinem Leben Lehrer gesucht habe. Menschen, die für mich Vorbilder waren und an denen ich mich orientiert habe. Es war mir früher nur nicht so bewusst.
So sehe ich, wie sehr mich meine Lehrer durch mein Leben begleitet und wie sehr sie mein Leben geprägt haben. Durch ihre Art zu sein, zu leben, zu denken und zu fühlen. Das hat für mich heute viel mit Identität zu tun und ich entdecke in meinen ersten Vorbildern, an die ich mich noch bewusst erinnern kann, schon meine heutige Identität. Ohne diese Lehrer und Vorbilder wäre ich wohl nie so weit "über mich hinaus" gewachsen.
Der Gedanke, dass mein ganzes Leben von Lehrern und Vorbildern begleitet wird, bis ins hohe Alter hinein, gibt mir ein gutes Gefühl von Verbundenheit und Zugehörigkeit und ein Gefühl, dass ich immer wachsen und lernen kann.
"Wir sind unsere Beziehungen", ist für mich ein Satz, den ich gern mag. Genauso wie Martin Buber's Satz "Das ich entsteht im du". So ist meine Identität ist zu einem guten Teil der Spiegel der Lehrer, die ich hatte und demnach ein Spiegel der Lehrer, die ich hatte.
Übung:
Welche Lehrer hattest du in einem Leben, die deinem Leben eine Wendung gegeben haben? Die wichtig für dich waren?
Für wen konntest du in deinem Leben ein guter Lehrer, eine gute Lehrerin sein?
Welche Lehrer in welchem Bereich suchst du jetzt gerade, durch die du über dich selbst hinaus wachsen lassen kannst?