Gefühle sind wichtig. Gefühle sind verwirrend, Gefühle sind schön, unerträglich und manchmal kaum auszuhalten.
Ohne Gefühle geht es nicht - und doch können wir manche kaum zulassen und haben über viele unserer Gefühle Urteile.
Irgendwie kann man sich auf Gefühle nicht verlassen und es ist oft verwirrend zu wissen, ob es jetzt eigentlich gut ist zu fühlen oder nicht.
Gefühle existieren in Schichten
Wir lernen als Kind, daß manche unserer Gefühle gern gesehen werden, und daß es über andere unserer Gefühle ein Urteil bei unseren Eltern und Bezugspersonen gibt. Daher beginnen wir diese Gefühle in uns selber zu verurteilen. Am Einfachsten ist es für uns , wenn wir diese Gefühle dann nicht mehr spüren - den Kontakt zu ihnen aufgeben. Wenn wir das tun, sichern wir uns in unserem Herkunftssystem unsere Zugehörigkeit. Oder anders gesagt, wir sind bereit für unsere Zugehörigkeit Teile unserer Wahrnehmung aufzugeben.
Wo immer wir Gefahr laufen uns mit einem Gefühl zu zeigen, das unsere Zugehörigkeit gefährdet, taucht die Scham auf. Die Scham existiert sozusagen in einer Schicht "über" unseren wirklichen Gefühlen. Sie ist ein Bewertungsgefühl. Ein Gefühl, das die Gefühle bewertet, die wir nicht zeigen dürfen, und damit unterdrückt. Statt der Gefühle selber spüren wir die Scham.
Leider ist unser psychisches System nicht so schlau, daß es später im Erwachsenenleben begreift, daß diese Gefühle in anderen Kontexten und mit anderen Leuten gar nicht gefährlich sind. Unser ganzes System organisiert sich in Konzepten, die uns einmal Sicherheit gegeben haben. Doch leider lernt unser System nicht dazu. Die Brille, durch die wir gelernt haben die Wirklichkeit zu filtern, tragen wir oft ein Leben lang.
Überall dort wo wir mit unserem eigentlichen Gefühl nicht in Kontakt kommen können, legt sich ein anderes Gefühl über unser Gefühl. Sei es die Unruhe, die Depression, die Wut, die Scham, der Haß, Eifersucht, Ohnmacht, usw.
So entsteht in uns gern eine Verwirrung über unsere "wahren" Gefühle. Wir können uns in diesen Schichten nur schwer orientieren und verlieren leicht den Überblick was wir mit unseren Gefühlen jetzt eigentlich anfangen sollen. Ob es jetzt gut ist unsere Gefühle zu fühlen und sie zu zeigen oder nicht.
So schwimmen wir irgendwie durchs Leben und kommen meist zum Schluß, daß es letztendlich gut ist die Gefühle zu fühlen, über die wir keine Urteile haben, und daß es gut ist, die Gefühle über die wir Urteile haben nicht zu fühlen. Doch damit erhalten wir etwas aufrecht, was uns nicht guttut.
Gefühle des offenen und des geschlossenen Herzens
Es gibt eine sehr schöne Formulierung für die Gefühle die in der ersten Schicht liegen. Es sind die Gefühle des offenen Herzens. Die Gefühle, die in der zweiten Schicht liegen sind die Gefühle des geschlossenen Herzens. Man kann auch Primär- und Sekundärgefühle zu ihnen sagen. Aber Gefühle des offenen und geschlossenen Herzens ist für mich ein Begriff, der etwas sehr gut auf den Punkt bringt. Denn unser Herz ist unser Beziehungsorgan.
Man sieht nur mit dem Herzen gut
Das ist ein Zitat aus "Der kleine Prinz" von Antoine de Saint Exupery. Wer mit dem Herzen sieht, der ist in Beziehung. Denn er ist in dem Moment mit sich selber und dem was er sieht in Kontakt. Wenn wir mit dem Herzen sehen, dann spüren wir Verbindung. Das offene Herz kennt keine Hierarchien, kein oben und unten, besser oder schlechter. Das Herz nimmt wahr, daß wir in der Tiefe alle gleich sind.
Das geschlossene Herz
Überall dort wo wir gegenüber eigenen Gefühlen ein Urteil haben, schließt sich unser Herz uns selbst gegenüber. Dort wollen wir nicht gesehen werden. Wir schämen uns für uns selber und sind an dem Punkt empfindlich. Wir versuchen vor uns selbst und den anderen unser "wahres" Gefühl unsichtbar zu machen. Niemand soll damit Kontakt kriegen. Ich selber nicht, und mein Gegenüber auch nicht.
Überall wo das der Fall ist, schiebt sich das Gefühl des geschlossenen Herzens über das Gefühl des offenen Herzens. Die Erfahrung, die wir dann machen ist, daß wir uns getrennt fühlen. Isoliert, alleine. Denn wir verlieren in den Gefühlen des geschlossenen Herzens die Beziehung zu unseren wahren Gefühlen und damit zu uns selbst. In dem Maß, in dem wir den Kontakt und die Beziehung zu uns selbst verlieren, verlieren wir auch den Kontakt und die Beziehung zu unserem Gegenüber.
Gefühle des geschlossenen Herzens machen wirkliche Beziehung unmöglich - denn das Gefühl um das es wirklich geht - das darunter liegende Gefühl, ist nicht im Blick.
Jeder von uns kennt die Situation, wenn ein Streit vorbei ist. Wir kommen wieder zu uns und entdecken daß unter der Wut und dem Haß etwas zum Vorschein kommt. Unsere Traurigkeit. Unsere Verletztheit.
Wenn die Gefühle des offenen Herzens fließen können, dann kommen Tränen. Wir kommen wieder mit uns in Beziehung und es löst sich etwas. Sind wir mit uns alleine, dann dürfen die Gefühle des offenen Herzens oft raus. Aber wir haben Angst diese Gefühle gegenüber anderen zu zeigen. Wir haben Urteile und Glaubenssätze, daß wir dann schwach, angreifbar, unangemessen sind. Die Scham sagt auf die eine oder andere Art und Weise, daß wir uns anderen so wie wir wirklich sind nicht zumuten können.
Gefühle nicht spüren und zeigen hat einen hohen Preis
Unsere Gefühle des offenen Herzens vor uns selbst und anderen geheim zu halten hat einen hohen Preis. Mit jedem Gefühl, das wir nicht spüren und zeigen können verlieren wir Lebendigkeit und Energie, Beziehung zu uns selbst und Beziehung im außen.
Wir sind in unserem Leben in dem Maß in Konflikt mit uns selbst und anderen wie wir in Konflikt mit unseren Gefühlen des offenen Herzens sind.
Das Herz ist keine Einbahnstraße
Viele Leute, die ich kenne sind sehr herzlich, aber sie empfinden sich immer wieder als Opfer von Leuten, die weniger herzlich sind. Daher sind diese Menschen oft sehr unglücklich über ihr offenes Herz. Viele empfinden es als schwer ein offenes Herz und gleichzeitig Grenzen zu haben.
Wo immer das der Fall ist, haben die Menschen eines oft nicht im Blick. Sie haben ein großes Herz für andere, aber kein so großes Herz für sich selber. Oft haben sie gelernt, daß ihre eigenen Bedürfnisse nicht so wichtig sind. Aber sie müssen dazu gehören dürfen, wenn man sich um die Bedürfnisse der Anderen gut kümmern.
Bedürfnisse anderer zu erfüllen ist oft eine Strategie Anerkennung zu bekommen und gesehen zu werden, die aber die eigenen Bedürfnisse und Gefühle oft ignoriert. Wenn ein Mensch mit einem großen Herz für andere mit sich selbst in Konflikt kommt, dann meint er oft, er müsse das einfach irgendwie wegstecken. Er selber ist nicht so wichtig. Hauptsache dem Anderen geht es gut. So übersieht der Mensch gern seine eigenen Gefühle.
Doch dieser Weg ist nur die Illusion von Beziehung. Wem nur die Bedürfnisse des Anderen wichtig sind, der zeigt sich nicht, und wird daher auch nicht gesehen. Oft wundert er sich, daß er nicht gesehen wird, obwohl er doch so viel für Andere tut. Darin verwechselt er allerdings "etwas für Andere tun" mit "sich zeigen" und in Beziehung gehen.
Die eigene Grenze scheint durch den anderen verletzt zu werden, doch in Wirklichkeit verletzt man sie selber.
Beziehung
Beziehung mit Anderen ist in der Tiefe nur dort möglich, wo wir mit unseren sogenannten wahren Gefühlen ohne Urteil in Beziehung sind. Wenn wir gut mit ihnen in Kontakt sind und uns mit ihnen ohne Scham zeigen können, dann sind wir automatisch in Beziehung. Mit uns - und mit anderen.
Achtsamkeit bietet viele Wege mit seinen primären Gefühlen in Kontakt zu kommen und jedem Gefühl in sich ohne Urteil zu begegnen. Überall wo das gelingt, verändert sich unsere Beziehung zu dem Gefühl, das wir abgespalten haben. Mit jedem Gefühl, das wir wieder einsammeln und als im Guten zu uns zugehörig erkennen können, sind wir mehr in Beziehung, weniger in Konflikt, lebendiger, und haben mehr Lebensenergie.
Für mich ist die Integration von Gefühlen ein ganz zentraler Aspekt der Praxis der Achtsamkeit.
Übung
Das Feld der Gefühle ist groß. Es braucht eine Weile, bis man sich in ihm gut orientieren kann. Für den Anfang ist es gut, wenn man unterscheiden lernt zwischen Gefühlen des offenen, und des geschlossenen Herzens.
Überall dort wo du von dir Gefühle des geschlossenen Herzens kennst, schreibe sie in dein Tagebuch. Und zwar so, daß du bei jedem dieser Gefühle Platz für Notizen läßt. Denn hinter jedem dieser Gefühle des geschlossenen Herzens steht ein Gefühl des offenen Herzens, das nicht gesehen ist.
Wenn du diese Übung machst, kommst du in Kontakt damit, was hinter den Gefühlen des geschlossenen Herzens liegt. Du kommst in Kontakt damit, welchen deiner Gefühlen gegenüber du Urteile hast - und welche Gefühle in dir mit Scham besetzt sind.
Dieser Blick ist ungewohnt, und es mag ein bißchen dauern bis Assoziationen zu Primärgefühlen auftauchen. Sei geduldig damit. Gib der Sache Zeit. Meditiere vielleicht zu einem der Gefühle.
Es wird sich etwas zeigen. Und das was sich zeigt, kann der erste Schritt dazu sein, daß du dieses Gefühl wieder im Guten integrieren und als zugehörig erkennen kannst.
Zur Integration von Gefühlen findest du in der Kategorie Gefühle weitere Einträge mit Übungen und Meditationen.
Es gibt noch eine zweite Möglichkeit für eine Übung.
Überall dort, wo jemand mit dem du in Beziehung bist leicht in Wut, Haß, Rückzug, Depression, etc. geht, mache die oben beschriebene Übung in Bezug zu dieser Person. Werde dir klar darüber, daß auch bei ihr die sekundären Gefühle die Gefühle verdecken, um die es wirklich geht. Die Gefühle des geschlossenen Herzens sind wie riesige Ablenkmanöver, damit das wahre Gefühl nicht gesehen wird.
Wenn du lernst hinter diese Ablenkung zu schauen und mit der Verletztheit des anderen in Beziehung zu gehen. Wo das gelingt, kann sich der Konflikt lösen.