Ich hab in meinem Urlaub auf Kuba vor ewigen Zeiten angefangen Zigarre zu rauchen. Mehr so aus Zufall und weil es kaum etwas zu essen gab. Es hat mir geschmeckt und das Ritual hat mir Spaß gemacht. Der Genuß einer Zigarre hat alles so schön abgebremst im Urlaub. Bevor ich auf Kuba war, hab ich nie geraucht - weder Zigarre, noch Zigaretten.
Dann war ich wieder in Wien und dachte mir - so eine blöde Idee, das hab ich mir sicher nur eingeredet, daß ich Zigarren rauchen mag, und hatte es daher auch bald wieder vergessen.
Ein paar Monate später im Sommer - ich hatte noch eine Kiste mit Zigarren aus Kuba - hab ich eine geraucht und fand es großartig. Am Ende des Sommers hab ich es wieder vergessen, weil es so gar nichts mit meiner Identität zu tun hat zu rauchen. Also hab ich mir wieder gedacht, daß ich mir das nur einbilde, daß ich Zigarren mag. Das ging so über Jahre - bis ich irgendwann kapiert habe, daß ich gerne Zigarren rauche. Seitdem gehört es zu meiner "neuen" Identität. Ich rauche jeden Sommer ein halbes Dutzend Zigarren und finde es ganz großartig.
Unser Selbstbild ist stur
Etwas Ähnliches passiert derzeit bei der Entstehung dieser Homepage. Ich habe dieses Homepageprojekt mehr oder weniger zufällig angefangen. Eigentlich hatte ich nur nach einem Weg gesucht meine Gedanken zu ordnen, indem ich sie aufschreibe. Dann hab ich entdeckt, was man da alles machen kann im Internet - und damit einhergehend hab ich entdeckt, daß ich etwas schreiben kann, was anderen vielleicht guttut in ihrem Leben.
Solange ich an der Sache sitze und schreibe, bin ich auch vollkommen überzeugt davon. Aber wenn ich mal zwei Tage nichts schreibe, dann kommt mir vor, ich habe vielleicht gar nichts zu sagen. Und ich bilde mir da was ein oder bin überheblich. Wer bin ich schon, daß,... usw.
Zum Glück kann ich dann immer etwas Neues schreiben. Jedes Mal bin ich wieder völlig begeistert darüber, was ich in Worte fassen kann - daß es mir persönlich Sinn gibt - und daß mir vorkommt, für andere kann das auch Sinn machen. Ich sehe dann gern Leute vor mir, die genau wie ich mein ganzes Leben lang in menschlichen Dingen nach Orientierung suchen. Dann denk ich mir, ich werde wohl nicht der Einzige sein, dem es so geht.
Zwei Tage später alles vergessen und im Zweifel. Wieder schreiben - geht wieder. Es ist das gleiche Muster wie mit der Zigarre.
Es dauert, bis man sich mit einer neuen Identität wirklich identifiziert, und auch selber zustimmen kann, daß man da etwas kann.
In Berufsfragen zeigt sich die Identität oft darin, daß man sich eines Tages laut auszusprechen traut, "ich bin" ist Regisseur, Autor, Psychotherapeut oder Architekt. Es gibt einen Punkt, wo man etwas so weit in sich verankert hat, daß man "sogar sich selbst" davon überzeugt hat, daß da etwas neu dazu gekommen ist, das "wirklich" zu einem gehört.
Sicherheit
Bis zu einem gewissen Grad ist es auch gut, daß unser Selbstbild so stur ist. Denn so stellt es sicher, daß wir erst dann mit etwas in die Welt hinaus gehen, wenn wir auch reif sind. Unser Selbstbild hat sich über die Jahre so aufgebaut, weil wir mit ihm ein Gefühl von Sicherheit verbinden. Das Selbstbild um etwas zu erweitern heißt auch sich der Gefahr auszusetzen sich zu blamieren, naiv zu erscheinen oder überheblich.
Wenn wir merken, daß ein neuer Teil bei uns dazu gekommen ist, der uns auch wichtig ist, dann ist es irgendwann auch wichtig sich damit zu zeigen - sich zu outen. Und sei es anfangs nur im kleinen Kreis. Denn durch die Begegnung mit der Wirklichkeit wird die eigene Fantasie zur realen Identität.
Ich bin....
Wenn wir gefragt werden, was wir beruflich machen, dann sagen wir gerne "ich bin" Buchhändler, Softwaredesigner, Bauer oder Anwalt.
Dieses "ich bin" ist Ausdruck unserer Identität. Es hat seine guten Seiten, wenn wir uns so mit etwas identifizieren, daß wir sagen können "ich bin" das und das. Doch in der gleichen Formulierung liegt auch eine Falle. Denn ich bin zu jeder Zeit viel mehr als nur der enge Ausschnitt meines Berufes. Es tut gut sich dessen bewußt zu sein. Daher habe ich mir schon lange angewöhnt, auf die Frage was ich beruflich mache nur zu antworten, daß ich an dem und dem arbeite, oder so und so lange als das und das gearbeitet habe. Es läßt Platz für mehr. Sowohl in mir, als auch in dem Menschen, der mir gegenüber steht.
Wir sind es gewöhnt, uns selber im Konzept einer Identität zu sehen, und andere sind es gewöhnt, uns mit dem Konzept unserer Identität einzuordnen. Wenn wir uns wirklich als Menschen begegnen wollen, dann ist es oft gut, wenn wir die Identitätskonzepte weiter aufmachen. Denn dabei entdecken wir, daß wir mehr sind als wir glauben.
Je mehr wir uns daran gewöhnen, daß jedes Identitätskonzept nur ein kleiner Ausschnitt der Wirklichkeit ist, desto mehr sehen wir in uns und in anderen ein Potenzial für mehr. Und desto leichter können wir unsere Identitäten erweitern.
Wo das gelingt, wird wahrer Individualismus möglich. Denn die klaren Abgrenzungen, die enge Identitäten brauchen sind dann nicht mehr notwendig.
Übung
Die heutige Übung besteht darin sich eine kleine Übersicht über die eigenen Identitäten zu machen. Wo fällt es mir in meinem Leben leicht zu sagen, "ich bin..."? Im Beruflichen und im Privaten.
Und wo habe ich meine geheimen Identitäten. Meine "ich wäre gern" oder meine "ich bin eigentlich"?
"Ich wäre gern" und "ich bin eigentlich" sind schon Identitäten von uns. Doch weder gestehen wir es uns selbst ganz ein - noch wollen wir uns damit zeigen.
Doch im Wissen, daß diese geheimen Identitäten schon richtige Identitäten sind, können wir uns fragen wie wir diese geheimen Identitäten ins Leben - in die Realität bringen.
Wie bei allem in der Achtsamkeit liegt der Weg darin, sich von der Größe der Aufgabe nicht erschrecken zu lassen. Es geht wie immer darum zu schauen, welchen ersten kleinen Schritt man setzen kann. Einen Schritt in die Wirklichkeit, die auch die innere Wirklichkeit wieder befruchtet.
Mit jedem Schritt werden wir mehr als wir waren.