Wenn man alles so läßt wie es immer war, dann ist Veränderung unmöglich. Das ist ein Naturgesetz, dem niemand von uns auskommt. Das ist eine der fundamentalsten Erkenntnisse, die wir für unser Leben brauchen. Wir sind uns dessen oft kaum bewußt, daß der Lauf unseres Lebens wesentlich von prägenden äußeren Ereignissen bestimmt ist.
Prägende Ereignisse
Wenn man auf sein eigenes Leben zurückschaut, wird man prägende äußere Ereignisse finden, die einen verändert haben. Es ist eine ganz eigene aussagekräftige Biografie die entsteht, wenn wir unsere Leben durch die Brille der äußeren Ereignisse betrachten.
Oft sind das natürliche Entwicklungen, die aber gleichzeitig einen Bruch in der Erfahrungswelt erzeugen. Von zu Hause in den Kindergarten - vom Kindergarten in die Schule - von der Schule ins Gymnasium usw.
Immer wenn wir in eine neue Erfahrungswelt, in einen neuen Kontext einsteigen, verändern wir uns. Ich habe gesehen wie bewußt das meiner Tochter schon war als sie vom Kindergarten in die Volksschule gewechselt hat. Nachdem sie im Kindergarten immer rosa getragen hatte, hat sie an ihrem ersten Schultag ein blaues Kleid gewählt. Auf dem Schulweg hat sie mir dann mit geteilt, daß rosa ab jetzt nicht mehr ihre Lieblingsfarbe ist. Denn sie hat intuitiv begriffen, daß Kindergarten und Schule zwei Welten sind, die sich unterscheiden. Das Ja zum blauen Kleid war das Ja dazu die neue Welt mutig zu betreten und ihr zugehörig sein zu wollen.
In den nächsten zwei Monaten war Lena sehr anhänglich und mußte sich erst orientieren. Nach drei Monaten hat sie dann angefangen wieder ab und zu rosa zu tragen. Denn sie hat erkannt, daß sie in der neuen Welt nicht alles aufgeben muß was sie war.
Ein guter Veränderungsprozess besteht aus meiner Sicht immer darin, daß man seine alte Identität nicht aufgeben muß. Man erweitert sie nur.
Diese Wechsel sind auch immer mit Ängsten verbunden, denn man spürt intuitiv, daß die alte Identität nicht groß genug ist um das zu füllen, was vor einem liegt. Daß man ein unbekanntes Land betritt, dessen Regeln man noch nicht kennt - und in dem man sich selber noch nicht erlebt hat. Das macht natürlich Angst.
Wenn man aber davon ausgeht, daß es normal ist, daß man sich in der neuen Welt erst mal orientieren muß, und daß es ganz normal ist, daß man Vieles noch nicht kann, wenn man anfängt, dann ist persönliches Wachstum möglich. Vor allem, wenn man das in einem Geist machen kann, in dem man Fehler als etwas sieht, das zu jedem Lernprozeß dazu gehört. Fehler gehören nicht nur dazu. Fehler sind gut und wichtig. Je mehr Fehler ich mache, desto mehr lerne ich. Fehler sollte man eigentlich nicht bestraft, sondern belohnen.
Jack Welsh - einer der bekanntesten Manager in den USA hat in den 80er Jahren daraus eine Firmenphilosophie gemacht. Am Ende jedes Jahres hat er bei General Electric prinzipiell die Leute befördert, die die meisten Fehler gemacht haben. Denn sie waren die, die sich offensichtlich am meisten mit Innovationen beschäftigt haben.
Fehler zu machen ohne die Angst vor sich selbst oder anderen blöd da zu stehen, sondern dafür belohnt zu werden. Was für eine weise Idee.
Würde unsere Gesellschaft diese Einstellung zu Fehlern gemeinschaftlich teilen - es ginge uns allen wesentlich besser im Leben. Denn diese Sicht öffnet einen Blick auf Veränderungsprozesse, die nicht Angst machen, sondern Spaß.
Kein prägendes Ereignis ohne Veränderung
Wenn es ein prägendes äußeres Ereignis in unserer Biografie gibt, dann verändern wir uns. Es gibt keine andere Möglichkeit. Egal ob es eine Trennung gibt, einen Umzug, ob jemand stirbt, der uns nahe ist, wir einen schweren Unfall haben, usw. Unsere Welt ist nachher nicht mehr die Gleiche wie vorher. Und daher können wir in der neuen Welt nur bestehen, wenn wir lernen und wachsen.
Was uns daran Angst macht ist, daß unsere alte Identität stirbt. Es macht uns Angst, daß der Mensch der wir waren in gewisser Weise sterben muß, damit ein neuer Mensch leben kann. So fühlt es sich zumindest an. Doch in Wirklichkeit stirbt der Mensch, der wir waren nie. Wenn wirkliche Veränderung gelingt, wachsen wir. Wir bekommen etwas dazu.
Oft müssen wir alte Glaubenssätze und Überzeugungen sterben lassen, die für die neue Welt zu eng sind. Doch auch hier stirbt in gewisser Weise nichts. Wenn Veränderung gelingt, erweitert sich unser Bewußtsein. Was eng war, wird weiter. Was nicht im Blick war, darf jetzt dazu gehören.
Das hat allerdings auch manchmal den Preis, daß uns die Welt, aus der wir kommen fremd wird. Daß wir uns in ihr nicht mehr wohl fühlen. Denn sie fühlt sich jetzt für uns zu eng an.
Wie kann ich etwas Neues wagen?
Ich habe vor Kurzem etwas sehr Interessantes gelesen. Die fünf Personen, die uns am nächsten sind prägen in jeder Weise unseren Horizont. Wir sind im Schnitt so mutig wie sie, so fit wie sie, so schlau wie sie, so unternehmungslustig wie sie, usw.
Menschen sind soziale Wesen, die sich um der Zugehörigkeit willen in allem in den Durchschnitt ihrer wichtigsten Bezugspersonen bewegen.
Dieses Wissen beinhaltet für mich auch großes Potenzial für bewußte Veränderung.
Oft haben wir das Gefühl, wir stecken in unserem Leben gerade fest. Wir würden uns gern verändern. Wir haben keinen Plan. Egal wie viel wir nachdenken, und egal welches Ziel wir uns setzen, wir verlieren es bald wieder aus den Augen und alles ist wieder beim Alten. Das ist ganz natürlich. Denn wenn kein Ereignis unser Leben verändert, ändern wir uns nicht.
In Folge eine kleine Übung mit deren Hilfe wir Veränderung in unserem Leben aktiv suchen können.
Übung
Wenn wir davon ausgehen, daß wir etwas Neues in unserem Leben brauchen, um Veränderung zu ermöglichen - wir uns aber von nichts trennen können, was zu uns gehört - gibt es immer die Möglichkeit aktiv jemand oder etwas Neues in unser Leben rein zu lassen.
Welche Person verkörpert etwas, was meine engsten Bezugspersonen nicht verkörpern - und gleichzeitig etwas, was ich auch gern können würde - wie ich auch gern sein würde. Wenn ich es schaffe den Kreis meiner Bezugspersonen aktiv um jemanden zu erweitern, der in keiner Weise meiner Routine entspricht, wird Veränderung passieren.
Wenn ich es schaffe in mir etwas zu finden, was ich schon immer machen wollte, aber keine meiner Bezugspersonen mit mir teilt - dann kann ich mich alleine auf die Reise machen, um mir das zu erfüllen. Das müssen keine großen Veränderungen sein. Vielleicht wollte ich immer einen Tangokurs machen und niemand wollte mit mir gehen. Vielleicht habe ich immer Leute bewundert die Initiativen gründen, aber ich würde es nie wagen. Vielleicht habe ich das Bedürfnis mein Berufsleben mit irgendetwas zu ergänzen, das mir Sinn gibt, aber ich habe bis jetzt nicht darüber nachgedacht was genau das sein kann.
Etwas Neues in sein Leben lassen und dabei auf seine ganz eigene innere Stimme zu hören. Sich dabei selber wichtiger sein als die Stimmen derer zu denen man gehört. Sich aktiv in eine Welt begeben, die man nicht kennt - auf die man aber neugierig ist. All das bringt Veränderung in das eigene Leben - Veränderung passiert automatisch als Folge des Betretens einer Welt die man noch nicht kennt.
Wenn man unter den Personen die einen täglich umgeben keine Unterstützung für diese Veränderung erfährt, kann man in der neuen Welt Menschen suchen, die einem darin Mut machen den eigenen Weg zu gehen.
Manche Identitäten können wir nach Wochen, nach Monaten, und manche erst nach Jahren wirklich verkörpern. Doch auch solange sie noch geheime Identitäten sind, sind sie nichtsdestoweniger schon genauso wirklich in uns wie die, die wir offen leben können.
Am Ende dieses Eintrags noch ein kleiner Filmtip zu diesem Thema. Einer meiner absoluten Lieblingsfilme ist der französische Film "Lust auf Anderes".
Der Film spielt in einer französischen Kleinstadt, in der ganz unterschiedliche Leute aus ganz unterschiedlichen Gründen Lust darauf bekommen etwas in ihrem Leben anders zu machen. Oft sind es nur Kleinigkeiten - ein Englischkurs, einmal ja sagen dazu in eine Ausstellung mit zu gehen, statt zu Hause zu bleiben, und Ähnliches. Es ist schön, was diese kleinen Veränderungen im Leben der Protagonisten bewirken. Und so macht der Film Lust darauf selber ein bißchen außerhalb der eigenen Komfortzone seine Fühler auszustrecken.