Gute Vorsätze kommen oft am Ende des Jahres. Die Zeit ist ruhiger. Ich begegne mir selbst. Ein neues Jahr beginnt. Das ist eine Zäsur. Jeder von uns hat ein ideales Selbst. Ein "so möchte ich gerne sein." Am Ende des Jahres wird Bilanz gezogen. Wenn ich so auf mein Jahr und mich selbst zurückschaue - wie gut ist es mir gelungen, mir selbst zu genügen? Wie sehr konnte ich mir vertrauen, so zu sein, wie ich sein wollte, und wie sehr habe ich mich darin enttäuscht?
Schaue ich so zurück und sehe da nichts als Mangel und Versagen, ist die Chance groß, dass ich mich mit einem guten Vorsatz für das nächste Jahr in die subtile Aggression der Selbstoptimierung stürze. Doch leider - wenn ich diesen Fokus habe - wird aus dem guten Vorsatz die nächste Enttäuschung werden.
Also heute ein Blick darauf, wie ich die Chancen, im nächsten Jahr stolz auf mich sein zu können, deutlich steigern kann. Die Grundidee - ich arbeite mit mir, statt gegen mich.
Arbeite ich gegen mich, klingen dann die sogenannten guten Vorsätze schnell mal nach einem "ich sollte" mich mehr bewegen, weniger essen, früher aufstehen, aufmerksamer sein mit meinen Kindern, .... Oder "ich müßte" mich endlich um die Steuern kümmern und das Auto reparieren lassen und endlich mal wieder meine Freunde treffen....
Zwang führt zum Gegenteil von dem, was wir wollen
Doch es ist so eine Sache mit der Aggression und dem, was wir "müssen" und dem, was wir "sollen". Wir lassen uns nicht gerne zwingen. Auch nicht von uns selbst. Wenn ich mich selbst zwinge, nennt man dann Autoaggression. Und genauso stur, wie ich zu Recht bin, wenn mich jemand anderer zwingt, etwas zu tun, was ich nicht will, so stur bin ich auch, wenn ich mich selbst zwinge.
Zwinge ich mich selbst und ein anderer Teil von mir geht zu dem Zwang in Widerstand (was sicher passieren wird), macht das immer etwas mit meinem Selbstvertrauen und meinem subjektiven Gefühl von Selbstwert. Scheitere ich ein paar Mal auf diesem Weg, traue ich mir nichts mehr zu und gebe schon auf, bevor ich etwas versuche.
Nett zu mir sein heißt nicht, mich Vergnügungen und Ablenkungen hinzugeben
Aus meiner Sicht ist der beste Vorsatz für das nächste Jahr jedes Jahr, nett zu mir zu sein und gut mit mir umzugehen. Rücksicht auf mich zu nehmen. Mir zuzuhören und mich zu verstehen. Das heißt, dem zu folgen, was ich möchte und worauf ich Lust habe.
Jetzt kann man natürlich zu Recht einwenden, dass mich genau dieses Leben dahin gebracht hat, wo ich mit mir selbst eben nicht zufrieden bin. Und das stimmt, wenn ich mein Jahr danach messe, wann ich nach Vergnügungen gesucht habe, die schnelle und oberflächliche Befriedigung versprechen.
Diese Art von Vergnügungen haben leider alle gemein, dass sie mich in der Tiefe nie zufrieden hinterlassen. Sie führen eben genau zum Ergebnis des Jahres, an dessen Ende ich überzeugt bin, gute Vorsätze umsetzen zu müssen.
Wie kann ich also im neuen Jahr nett zu mir sein und am Ende des Jahres dabei noch mit mir selbst zufrieden sein?
Der elegante Weg
Der elegante Weg verbindet zwei Dinge miteinander. Klare Ziele und ein Weg zu diesen Zielen, bei dem ich auf mich selbst Rücksicht nehme. Der Vorteil dieser Art von Vorsätzen ist, dass ich damit nicht nur erfolgreicher fahre - ich mache sogar freiwillig mit und profitiere dabei auf dem Weg und am Ziel von einer guten Selbstbeziehung.
Positiv formulierte Ziele setzen
Nur wenn ich ein langfristiges Ziel wähle, für das ich auch etwas tue, für das ich Zeit und Aufmerksamkeit investiere, ist beim Erreichen mit einem Gefühl von Selbstwert und Stolz verbunden.
Was bedeutet es, positive Ziele zu setzen? Ich will weniger Süßigkeiten essen, ich will nicht mehr so dick sein, ich darf mich nicht so gehen lassen, ich will nicht mehr allein sein,...... Das sind alles "negativ formulierte" Ziele. Und so formuliert beinhalten sie alle die nicht zielführende Autoaggression, die ich anfangs angesprochen habe.
Ich möchte schlanker sein, ich möchte mich gesünder ernähren, ich möchte mich mehr bewegen und Sport machen, ich möchte jemanden netten kennenlernen, mit dem ich mein Leben teile ..... das sind positive formulierte Ziele.
Da gibt es Dinge, die ich im Positiven für mich erreichen möchte. Da gibt es ein Wollen, ohne dass ich mich selbst abwerten muss. Das klingt wie eine Kleinigkeit, hat aber eine enorme Wirkung. Denn die Selbstbeziehung bei den Vorsätzen bestimmt, ob wir uns selbst sabotieren oder ob wir am Ende des nächsten Jahres Selbstvertrauen gesammelt haben.
Habe ich ein positives Ziel für mich definiert, kommt der zweite Schritt.
Ich folge nämlich der Weisheit: "Der Weg ist das Ziel." Dieses Sprichwort beinhaltet eine ganz einfache und praktische Weisheit. Wenn nur das Ziel die Motivation ist, werde ich die Disziplin nicht aufbringen, mein Ziel zu erreichen. Der andere Effekt ist, dass ich so die Disziplin vielleicht aufbringe, aber direkt danach falle ich sofort in mein altes Verhalten zurück. Dann ist es beim nächsten mal umso schwieriger, die Disziplin und Willenskraft aufzubringen.
Ich kann mein Ziel nachhaltig nur erreichen, wenn ich auf dem Weg positiv motiviert bin. Denn nur diese Art von Motivation gibt mir die positive Energie, die mich freiwillig weiter gehen läßt, weil ich diesen Weg gerne gehe. Das ist es, was ich mit "auf mich selbst Rücksicht nehmen" meine.
Woher kommt die Motivation?
Die einzige Motivation, die bei längerfristigen Zielen funktioniert, ist die intrinsische Motivation - also die Motivation, die aus mir selbst heraus kommt. Die aus meiner eigenen Erfahrung kommt.
Mache ich meine Motivation von einer äußeren Belohnung abhängig, die ich mir zugestehe, wenn ich das Ziel erreicht habe, wird die Energie nicht reichen, um dort hin zu kommen oder ab der Zielerreichung in sich zusammenfallen.
Das Gute an der intrinsischen Motivation ist, dass ich sie leicht erkennen kann - nämlich dadurch, dass ich Freude an etwas habe. Alles, woran ich Freude habe, mache ich freiwillig weiter und die Chancen, dass ich darin erfolgreich bin, steigen durch die Freiwilligkeit. Erfolgreich heißt in dem Sinne, dass mein Handeln die Folgen hat, die ich mir wünsche. Macht mir die Sache Freude, wird sie zu einem Teil meiner Identität. Und so wird die Veränderung nachhaltig.
Ein Beispiel - ich möchte mehr Sport machen
Was auch immer der Grund ist, warum ich Sport machen möchte, das Vorgehen bei der Umsetzung ist immer das Gleiche. Erst das positive Ziel: Ich möchte beweglicher werden, eine bessere Haltung haben, gut Luft kriegen, wenn ich zwei Stockwerke hoch gehe, weniger Gewicht haben, weniger Verspannungen spüren, was auch immer - all diese Ziele sind gleichwertig.
Jetzt geht es im nächsten Schritt nur um die Motivation. Lass dir für diesen Schritt Zeit. Es ist der wichtigste Schritt für den ganzen Prozess. Bei der Motivation geht es einfach um die Frage, wie ich so Sport machen kann, dass es mir ganz persönlich Spaß macht.
Mache ich Sport allein, mit einem Freund oder einer Freundin? In der Gruppe oder zu Hause allein? In der Natur?
Was für ein Sport würde mir Spaß machen? Und wenn ich mich die letzten 40 Jahre nicht bewegt habe, kann ich mich fragen, welchen Sport ich mir vielleicht gerne anschaue und ob ich den lernen kann. Dann entsteht schon mal eine positive Beziehung. Etwas, worauf ich zugehen möchte, statt ein Fokus, in dem ich von etwas weg kommen möchte.
Vielleicht kann ich auch einen Sport, der mir nicht so viel Spaß macht, mit etwas kombinieren, das mir Spaß macht. Als ich angefangen habe, ins Fitnessstudio zu gehen, war das für mich die gähnende Langeweile. Dann habe es ganz einfach mit etwas kombiniert, was ich gerne mache - nämlich Podcasts zu hören. Und schon war die gähnende Langeweile weg. Heute weiß ich, dass ich allein durch das Körpergefühl motiviert bin, das ich durch das Training bekomme. Diese Erfahrung ist dazu gekommen. Also schon zwei gute motivierende Aspekte.
Die wichtige Frage bei allen guten Vorsätzen ist also, sehr bewusst damit umzugehen, wie ich eine Sache so machen kann, dass ich sie gerne mache. Egal, welche Art von Vorsatz ich habe.
Finde ich diesen Schlüssel, gibt es nur noch eine Sache, die dazu kommt, damit ich am Ende des nächsten Jahres gerne zurückschaue und mit mir zufrieden bin.
Regelmäßigkeit
Ohne Regelmäßigkeit lässt sich kein größeres Ziel umsetzen. Ganz einfach, weil unsere Psyche so gebaut ist, dass sie Regelmäßigkeit braucht, um etwas kognitiv und motorisch zu speichern. Und ich brauche Regelmäßigkeit, damit meine Psyche erkennt, dass etwas jetzt tatsächlich zu meinem Leben und meiner Persönlichkeit gehört.
Alles, was regelmäßig zu unserem Leben gehört, gehört auch zu unserer Identität. Dinge, die regelmäßig sind, machen unsere Persönlichkeit aus. Wenn ich dreimal im Jahr Sport gemacht habe, aus schlechtem Gewissen heraus gleich 10 Stunden am Tag, dann kann ich von mir nicht behaupten, sportlich zu sein. Wenn ich alle drei Monate mal etwas Gesundes esse, kann ich nicht behaupten, mich gut zu ernähren.
Mache ich hingegen dreimal in der Woche Sport, bin ich sportlich. Ich kann das dann aussprechen und meinem Gegenüber dabei auch in die Augen schauen. Die äußere Wirklichkeit und mein Selbstbild stimmen dann überein.
Wenn ich etwas gerne mache, dann ist es viel leichter, es regelmäßig zu machen. Deswegen ist diese Form der positiven Motivation so wichtig.
Noch knapp zwei Wochen sind es bis zum Jahreswechsel. Anfang des Jahres trifft man gerne seine guten Vorsätze. Ich dachte, es ist eine nette Idee, diesen Blogbeitrag schon jetzt zu schreiben. Dann bleibt ein bisschen Zeit, mir bis zum Ende des Jahres vorzustellen, wie ich im neuen Jahr ein positiv formuliertes Ziel mit einem Maximum an Motivation angehen kann.
Übung:
Im Sinne des Blogbeitrags wünsche ich jeder Leserin und jedem Leser ein Jahr, in dem die guten Vorsätze auch über die ersten zwei Wochen im Jahr hinaus gut gelingen.