"Ich helfe gern", ist etwas, was ich oft von Menschen höre. Und gleichzeitig sehe ich, dass diese Haltung seine Schattenseiten hat. Denn die Erfahrung ist oft - ich helfe, ich stehe zur Verfügung, ich kümmere mich - aber es kommt nichts zurück.
Eine zweite Erfahrung ist: Ich helfe, aber mein Gegenüber wird wütend, nimmt meine gut gemeinten Ratschläge nicht an und ich bin gekränkt, weil ich mich bemüht habe - und das löst das Gefühl in mir aus, dass etwas mit mir nicht stimmt.
Alte Beziehungsmuster
Beide Erfahrungen beruhen darauf, dass das Beziehungsmuster, gern für andere da zu sein, oft schon in der Kindheit begonnen hat und in der Tiefe ein Angstmuster ist. Dann steht hinter dem Helfen wollen nicht so sehr die Herzlichkeit, sondern die Angst, nicht dazugehören zu dürfen, wenn ich nicht helfe. Oder den anderen zu verlieren, wenn ich nicht helfe.
In irgendeiner Weise habe ich auf jeden Fall in meiner Kindheit gelernt, mich um die Bedürfnisse von Erwachsenen zu kümmern. Verantwortung zu übernehmen, oft schon in einem sehr frühen Alter. Weil Eltern überfordert sind, oder krank beispielsweise. Oft versuchen Kinder auf diesem Weg ihren Eltern Halt zu geben, den sie selber eigentlich bräuchten.
Komme ich schon früh in diese Rolle, endet meine Kindheit hier. Denn meine Eltern sind dann nicht mehr für meine Bedürfnisse da, sondern ich für ihre. Meine Bedürfnisse vergesse ich auf diesem Weg leicht - und das oft für Jahre.
So eine Kindheitsgeschichte kann später im Leben einen hohen Preis haben.
Was passiert da genau in der Wahrnehmung?
Was ich dann von meinem Kinderleben in mein Erwachsenenleben mitnehme, ist die Erfahrung, dass sich andere Erwachsene nicht um sich selbst kümmern können. Ich sehe dann auch als Erwachsener andere Erwachsene nicht als Menschen, die für sich selbst verantwortlich sind. Ich ziehe dann geradezu Menschen an, die mit ihrem Leben überfordert sind, und die jemanden brauchen, der sich um sie kümmert.
Dass ich dann immer wieder auf solche Menschen treffe, ist in gewisser Weise die Reinszenierung meiner Kindheitsbeziehungen. So habe ich Beziehung kennengelernt. Und deswegen bin ich es gewohnt, auch wieder so in Beziehung zu gehen.
Was passiert mit meinen Bedürfnissen?
Im Muster, immer für andere da zu sein, gibt es eine Schattenseite. Indem ich mich immer um die Bedürfnisse anderer kümmere, vergesse ich meine eigenen. Erst stelle ich sie zurück und dann verliere ich den Zugang zu ihnen. So verliere ich mich und eine Lebendigkeit Stück für Stück selbst. Ich habe dann ein großes Herz für andere, aber keines mehr für mich.
Tue ich viel für andere, lebe ich in der Illusion, dass die anderen dann doch auch etwas für mich tun. Doch ganz oft kommt da nichts zurück. Dann fühle ich mich einsam und alleine und verstärke oft noch meine Bemühungen für andere da zu sein.
Warum kommt nichts zurück?
Wenn ich mich immer um die Bedürfnisse anderer kümmere, dann sehen die mich immer als die oder den Starken. Ich gebe ständig und zeige daher auch nicht, dass ich etwas brauche. Auf diesem Weg mache ich mich selbst für andere unsichtbar, ohne es zu merken.
Mein Gegenüber hat auf diese Weise gar keine Chance, mich wahrzunehmen, mir etwas zurückzugeben oder Rücksicht zu nehmen. Ich bin mir selbst gegenüber rücksichtslos. Denn ich selber gehe in dieser Haltung über meine Bedürfnisse hinweg. Mein Gegenüber kann daher nicht wissen, welche Bedürfnisse ich habe.
Es sei denn, ich teile sie ihm mit.
So ordne ich mich in vielen Situationen unter und empfinde mein Gegenüber dann als Täter.
Die zweite Falle des Helfers - der Ratschlag
Habe ich in meiner Kindheit wichtige erwachsene Bezugspersonen als hilflos erlebt und habe mich in der Rolle wiedergefunden, Dinge zu richten, dann versuche ich als Erwachsener oft in einer ganz bestimmten Weise zu "helfen", die leider nicht hilfreich ist.
Und aus das erzeugt wieder sehr viel Frust bei mir selbst und bei meinem Gegenüber.
Ich komme, wie beschrieben, dann schnell in das Gefühl, dass ich für die Situation und die Lösung im Leben des Anderen verantwortlich bin. Schließlich kann sich der Mensch nicht helfen und weiß nicht weiter.
Dadurch entsteht bei mir ein Druck. Ich muss mir jetzt eine gute Lösung einfallen lassen, damit der andere sich beruhigt.
Doch diese Reaktion löst in meinem Gegenüber oft eine wütende Reaktion aus.
Warum ist das so?
Indem ich versuche, mit einer Lösung zu kommen, stelle ich mich in dem Moment über den anderen. Ich werde gefühlt zu einem Elternteil. Mein Gegenüber fühlt sich klein gemacht. Aber er will mir auf Augenhöhe begegnen. Außerdem fühlt mein Gegenüber, dass die Lösungsvorschläge und Ratschläge nichts mit ihm zu tun haben. Er kann die Dinge in der Regel nicht so umsetzen, wie ich es ihm rate und daher fühlt sich mein Gegenüber auch nicht verstanden. Und das aus gutem Grund.
Denn aufgrund meiner alten Angstreaktion höre ich nicht richtig zu, verstehe nicht in der Tiefe, worum es geht und komme schnell mit Lösungen - oft noch bevor ich begriffen habe, worum es dem anderen eigentlich geht.
Was ist die Alternative - wie kann ich wirklich hilfreich sein?
Wirklich hilfreich zu sein, wirklich für jemand da zu sein ist eine Kunst, die in unserer Gesellschaft leider nirgends gelehrt wird, obwohl wir es alle so nötig bräuchten wie einen Bissen Brot.
In diesem Beitrag möchte ich in Kürze die wichtigsten Grundlagen vorstellen und lade jeden, der die obigen Phänomene kennt ein, etwas von den folgenden Punkten auszuprobieren.
Übung:
1) Zuhören ohne zu urteilen
Ein ganz wesentlicher Teil des guten Helfens ist zuhören zu können, ohne das Gefühl zu haben, etwas tun zu müssen oder Ideen haben zu müssen, wie es jemandem besser gehen könnte.
Diese Art von Zuhören macht bei mir als Zuhörer keinen Druck. Dadurch kann ich mit meiner Aufmerksamkeit ganz beim anderen bleiben. Und das ist genau das, was mein Gegenüber gerade am meisten braucht. Jemand, der zuhört und von dem er sich verstanden fühlt. Höre ich mal nur zu, gibt es auch kein Urteil und keine Wertung. Und auch das braucht mein Gegenüber gerade.
Es ist gut, neugierig zu sein und Dinge nachzufragen, um sie besser zu verstehen. Indem ich diese Dinge nachfrage, schaut mein Gegenüber auf Aspekte, die er von sich aus nicht sehen würde. Und das kann zu viel Erkenntnis führen. Durch das Reden und die Fragen erkennt der Redende wieder mehr von seiner Situation und seinen Gefühlen.
All das vermittelt dem Menschen, der gerade überfordert ist, das Gefühl - so wie ich bin, bin ich in Ordnung.
2) Verständnis
Ich höre also mit der Absicht zu, mich ganz in die Schuhe meines Gegenübers stellen zu können und die Situation aus seiner Sicht zu erleben. Kann ich ihm dann mitteilen, dass ich verstehe, warum er sich dann so fühlt, führt das zu einer weiteren Entspannung bei meinem Gegenüber.
Zwei Gefühle entstehen in dem Menschen, der sich hier ganz so zeigen darf, wie es ihm gerade geht. "Ich werde gesehen und ich bin nicht mehr alleine." So kommt der Redende mal ein Stück mehr zu sich und kann ein wenig mehr entspannen.
Bei Punkt 1) und 2) bin ich ganze Zeit über in der Haltung, einen erwachsenen Menschen vor mir zu haben, der selber am besten weiß, was gut für ihn ist. Auch wenn er das für sich erst finden muss. Je mehr sich mein Gegenüber entspannt, umso mehr hilfreiche Perspektiven tauchen in ihm auf.
3) Perspektiven einbringen
Neue Perspektiven einzubringen, ist eine der hilfreichsten Dinge, die ich als Zuhörer tun kann.
Sie sind besonders hilfreich, wenn ich sie als Fragen einbringen kann.
Sage ich "So hat das der oder der Mensch gelöst", oder so würde ich das machen", stelle ich mich über mein Gegenüber und er fühlt sich klein.
Habe ich gute Ideen, kann ich sie als Fragen einbringen.
"Wie würde es dir gehen, wenn du das oder das ausprobieren würdest?" Hast du schon mal daran gedacht, die Sache so oder so anzugehen? Wie wäre das für dich?"
Auf diese Weise bekommt mein Gegenüber Angebote für verschiedene Möglichkeiten und bleibt gleichzeitig auf Augenhöhe. Er oder sie kann dann selber entscheiden, ob diese Perspektive etwas Gutes in Bewegung bringt oder nicht.
Diese Art in Beziehung zu gehen, ist tatsächlich hilfreich und es ist gut, sie zu üben.
Mein Gegenüber ist entlastet und ich ebenfalls. Denn auf diesem Weg muss ich nicht mehr in die angstmachende Rolle meiner Kindheit zurück und komme ganz anders in Beziehung.