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Macht Meditation distanziert und gleichgültig?

In meinen Workshops sehe ich immer wieder, dass es eine Vorstellung gibt, Meditation lasse einen unbeteiligt und distanziert werden. Die Idee, sich selbst zu beobachten in der Meditation, trägt zu dieser Vorstellung bei.


Für mich führt Meditation genau das Gegenteil von Distanzierung. Meditation macht mich für mich selbst berührbar, erfahrbar und spürbar.

Macht Meditation distanziert und gleichgültig? I Achtsamkeit Blog

Ich begegne mir selbst


Wenn ich die Augen schließe, begegne ich mir automatisch selbst. Die sogenannten Selbstzentren werden aktiviert und ich bin sofort in einem inneren Erleben von Geschichten, Erinnerungen, Plänen und in Assoziationen, die mein Leben und mich betreffen.


Das Alltagsbewusstsein verliert sich sozusagen in diesen assoziativen Gedanken und Gefühlen. Es folgt den sprunghaften inneren Bildern und Geschichten und "identifiziert" sich jeweils mit ihnen. Das heißt, ich erlebe in meinem Alltagsbewusstsein jede dieser Geschichten als eine "Ich" Erfahrung. Denke ich über etwas in der Vergangenheit nach, werde ich gedanklich, körperlich und emotional wieder zu dem Menschen, der ich in der Situation war.


Dadurch verschwindet in gewisser Weise mein jetziges, präsentes Ich, meine jetzige Perspektive, meine jetzigen Gefühle. Jede Erinnerung, in die ich gehe, verbindet mich mit bestimmten Gefühlen, sowie auch jeder Blick in die Zukunft. Mein Fokus bestimmt, sozusagen, wer ich bin.


Sind mit diesen vergangenen oder zukünftigen Ereignissen Ängste verbunden, verengen sich meine Gefühle und damit verengt sich auch mein Körper und mein Bewusstsein.


So verliere ich nicht nur den präsenten Teil meines Selbst, sondern oft auch die Perspektiven von Gefühlen, die ich in der Verengung nicht mehr wahrnehmen kann. In diesem Alltagsbewusstsein bin ich also reduziert auf einen kleinen Teil meines Bewusstseins und meiner Gefühle.


Der Beobachter bleibt bewusst und macht weit


Bin ich mir in der Meditation bewusst, dass ich jetzt in diesem Raum sitze und eine Erinnerung oder einen Plan für die Zukunft habe, identifiziere ich mich weiter mit meinem präsenten Ich in der jetzigen Situation und den Gefühlen, die jetzt in mir ausgelöst werden. Dann schaue ich sozusagen zurück auf mich selbst, als ich etwas erlebt habe oder voraus auf eine noch nicht gemachte Erfahrung und bleibe dabei bei mir. Mein jetziges Ich geht in Beziehung zu einem vergangenen oder zukünftigen Ich.


Durch diese Perspektive identifiziere ich mich nicht mit den Gefühlen in der Vergangenheit oder Zukunft, sondern mit dem Blick auf die Situation aus der jetzigen Sicht. Ich kann so mit mir selbst in Beziehung gehen und mich selbst von außen anschauen, was eine unheimlich wichtige Fähigkeit ist, wenn ich Selbsterkenntnis haben möchte.


In dieser Haltung bleibe ich weit, präsent und klar und kann die Gefühle, die zu einer vergangenen Situation gehören, interessanterweise differenzierter wahrnehmen, als wenn ich mit ihnen identifiziert bin - sprich - in den Gefühlen verschwinde. Die Weite und Klarheit des Blicks aus einem entspannten, gegenwärtigen Ich verbindet mich mit allen Gefühlen und Perspektiven, die ich in Bezug auf eine Situation habe. Je besser diese Haltung gelingt, umso mehr verbindet sie mich mit der Fähigkeit zu Herzlichkeit und Mitgefühl. In dem Fall auch mit der Fähigkeit, Mitgefühl mit mir selbst zu haben.


Mich selbst wahrnehmen und verstehen


So gehe ich in der Meditation in einer tiefen Art und Weise in Beziehung mit jetzigen, vergangenen und zukünftigen Anteilen meines Selbst, ohne mich dabei je von der Realität zu trennen - dass nämlich der jetzige Moment mein Leben und meine reale Perspektive ist. In der bewussten Identifikation mit mir selbst "in diesem Augenblick" bleibt mein Bewusstsein weit - in der Erkenntnis, dass die Erinnerungen und Pläne etwas sind, wohin mein Fokus gerade gegangen ist - was ich aber nicht mit der Realität verwechsle.


In der Meditation entsteht dadurch etwas Paradoxes. Ich bleibe ganz bei mir. Damit distanziere ich mich sozusagen von meinem vergangenen und zukünftigen Ich und bin genau dadurch in der Lage, die Gefühle des vergangenen und zukünftigen Ichs viel klarer und tiefer zu empfinden.

Der jetzige Augenblick ist der Einzige, in dem ich wirklich existiere. Auch wenn mein Gehirn eine Simulationsmaschine ist, die Geschichten zu vergangenen und zukünftigen Ereignissen konstruiert, verliere ich mich in der Identifikation mit dem jetzigen Ich nie aus den Augen. Ich bleibe sozusagen zentriert.


So ist der sogenannte Beobachter nichts anderes als die Identifikation mit dem jetzigen, präsenten Ich, das alle vergangenen und zukünftigen Ichs, alle Gefühle und Persönlichkeitsanteile in sich aufnimmt und dabei das Bewusstsein weit läßt.


In der Achtsamkeit wird geübt, den Beobachter selber weit sein zu lassen, indem ich Körpererfahrungen, Gefühle und Gedanken in meine bewusste Wahrnehmung mit aufnehme. So bin ich mit allen Wahrnehmungsebenen verbunden.


Mit meinen Sinnen im Jetzt verankern


Alles, was mich mit meinen Sinnen in der jetzigen Erfahrung verankert, was mir ein Bewusstsein für meinen Körper gibt, führt in die Identifikation mit dem jetzt präsenten Ich, das jetzt Dinge erlebt, und das sich jetzt an Dinge erinnert oder jetzt Dinge plant.


Je mehr Weite und je mehr Loslassen dabei in mir möglich ist, umso mehr bin ich in mir und mit anderen verbunden. In der Weite bin ich fähig dazu, mich selbst und andere tief zu spüren, zu verstehen und in Beziehung zu gehen.

Durch die Identifikation mit dem präsenten Ich entsteht so die Fähigkeit zu Nähe und Beziehung.


Also genau das Gegenteil von Distanz.


 

Übung:


Als eine kleine Übung, um die Wirkung des oben beschriebenen für dir selbst zu spüren, schlage ich Folgendes vor:


Erinnere dich an ein Ereignis in deinem Leben, mit dem du heute noch in Konflikt bist. Statt zurückzuschauen, dich wieder in die Situation hinein zu versetzen, und zu sagen, das bin "ich", so ging es "mir" damals - schau aus der heutigen Perspektive zurück.


Ich, der Mensch, "der ich heute bin", schaut zurück auf den Menschen, "der ich damals war". Mit allem, was ich jetzt weiß und mit allem, was ich heute darüber weiß, wo ich damals in meiner Entwicklung war.

Achte darauf, wie sich diese zwei unterschiedlichen Perspektiven für dich anfühlen. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass der Blick im Zurückschauen aus der heutigen Perspektive weiter wird, dass mehr Möglichkeiten auftauchen, um die Situation und dich selbst in der damaligen Situation besser zu verstehen.


Wenn dich diese Perspektive zu Selbsterkenntnis und zu einem besseren Verständnis deiner Selbst führt, kannst du sie jederzeit mit verschiedenen Situationen aus der Vergangenheit durchspielen und selbst beurteilen, ob du dich dadurch distanzierter oder verbundener mit dir selbst und anderen fühlst.




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