Im heutigen Beitrag möchte ich etwas zum "kindlichen Bindungsmuster" und zum "erwachsenen Beziehungsmuster" schreiben und warum es wichtig ist, sich vom kindlichen Bindungsmuster zu lösen, um als Erwachsener gut in Beziehung kommen zu können.
Kindliches Bindungsmuster
Wie muss ich sein, um dazu zu gehören?
Dieser Satz ist ganz zentral im "kindlichen Bindungsmuster". Beim Kind, das von seinen Eltern immer abhängig ist, ist die Zugehörigkeit zu ihnen das höchste Ziel, denn als Kind brauche ich meine Eltern, um mich sicher und geborgen zu fühlen.
Daher lerne ich in der Kindheit in vielen Fällen, so zu sein, wie andere es von mir erwarten, um Beziehung zu sichern. In dieser Orientierung verrate mich leicht selbst - einfach weil ich als Kind große Angst vor Beziehungsverlust, Abwendung oder Strafe habe.
Dieses Anpassen, um Zugehörigkeit zu sichern, hat allerdings einen hohen Preis. Denn wenn ich so bin, wie es den anderen gefällt, verlasse ich mich innerlich selbst und fühle mich in Beziehung in der Tiefe immer allein. Ich komme mit der Zeit zu der Überzeugung "so wie ich wirklich bin" mag mich niemand. Ich bin für niemanden wichtig. So wird der in der Kindheit oft unausweichliche Selbstverrat, um Beziehung nicht zu verlieren, der zentrale Mechanismus für den Verlust von Selbstwert und Selbstvertrauen.
Am Ende der Kindheit geht dieses kindliche Bindungsmuster leider nicht automatisch in ein erwachsenes Beziehungsmuster über. Es bleibt als tief sitzende Prägung bestehen. Als Erwachsener wiederhole ich in der Regel die Art und Weise, wie ich als Kinder gelernt habe in Beziehung zu kommen und in Konflikten zu reagieren. Musste ich mich als Kind selbst verraten, um Beziehung zu sichern, führe ich dieses Verhalten als Erwachsener in der Regel fort.
Ich bin allein und fühle mich ungeliebt
Bleibe ich im kindlichen Bindungsmuster, entwickle ich als erwachsener Mensch nicht die Fähigkeit, meine Grenzen zu schützen. Ich bin dann weiterhin ängstlich und zeige mich nicht so, wie ich bin. Ich stehe dann nicht mit gutem Gewissen und ohne ein Gefühl von Schuld oder Scham zu dem, was mir guttut und was nicht. Stattdessen stelle ich mich selbst infrage. Da ich gelernt habe, für Nähe immer wieder mein Selbst zu opfern, wird in mir als Erwachsener oft die Sehnsucht nach Nähe genauso groß wie die Angst vor Nähe.
In diesem Muster des Selbstverrats gebe ich viel, bekomme aber wenig oder nichts zurück. Stehe ich im Konflikt zu meinen eigenen Bedürfnissen, habe ich schnell das Gefühl, dass sich der andere sicher abwendet oder wütend wird. Jemand anderem mein wahres Ich zuzumuten, ist dann mit einem Gefühl verbunden, die Beziehung zu riskieren. Dabei ist genau das Gegenteil der Fall. Also zeige ich mich nicht, und so werde ich nicht gesehen.
Da ich mich in dieser Orientierung um die Bedürfnisse der anderen kümmere, erscheine ich selbst bedürfnislos und komme nicht darauf, dass es nur eine Möglichkeit gibt, wirklich sichtbar zu werden und in Beziehung zu kommen - indem ich mich, so wie ich bin - mit meinen Gefühlen und Bedürfnissen zeige und zu mir stehe. Denn wenn ich das nicht mache, kann es auch keiner für mich machen. Als Erwachsener bin ich dafür verantwortlich, mich sichtbar zu machen. Das kann mir niemand abnehmen.
So ist in der Tiefe betrachtet nicht mein Partner rücksichtslos mir gegenüber, sondern ich mir selbst gegenüber. Nicht mein Gegenüber nimmt mich nicht wichtig. Ich nehme mich selbst nicht wichtig und daher tun es andere auch nicht. Es ist zwar schmerzhaft, diese Erkenntnis zuzulassen, aber gleichzeitig führt sie in die Selbstermächtigung in der Beziehung.
Ich kann lernen, diese Verantwortung anzunehmen und ganz bewusst in ein erwachsenes Beziehungsmuster zu finden.
Das erwachsene Beziehungsmuster
Wie muss die Welt sein, dass sie zu mir passt?
Im erwachsenen Beziehungsmuster gelten ganz andere Beziehungsgesetze.
Erwachsen zu sein, bedeutet unabhängig zu sein. Erwachsen bin ich, wenn ich mit gutem Gewissen sagen kann, dass mir die Zugehörigkeit zu mir selbst wichtiger ist, als die Zugehörigkeit zu jemand anderem.
Nur wenn ich dem aus vollem Herzen und mit gutem Gewissen zustimmen kann, kann ich meine Grenzen wahren, gleichzeitig in Beziehung zu mir selbst und dem anderen sein und wirklich Nähe ohne Angst zulassen. Denn im erwachsenen Beziehungsmuster bedeutet Beziehung nicht mehr, dass ich mich selbst verraten muss, um in Beziehung zu kommen.
Beziehung bedeutet dann, dass zwei Menschen zusammenkommen, die immer unterschiedliche Bedürfnisse und Gefühle haben und keine Seite zwingt die andere, anders zu sein, als sie ist. Bei jeder Unterschiedlichkeit von Bedürfnissen findet man im erwachsenen Beziehungsmuster einen Weg, den beide gehen können, ohne dass sich einer selbst verraten oder dem anderen gegenüber dominant sein muss.
"Wie muss die Welt sein, dass sie zu mir passt?", ist der zentrale Satz des erwachsenen Beziehungsmusters. Dieser Satz hat nichts mit Egoismus zu tun. Dieser Satz heißt, ich möchte in einer Beziehung sein, in der beide so sein dürfen, wie sie sind und in der sich beide Seiten sicher fühlen, sich auch so zu zeigen, ohne dass auf einer der beiden Seiten eine Angstreaktion entsteht. Denn sobald eine Angstreaktion entsteht, weil mein Partner ein anderes Bedürfnis hat als sich, werden Urteil, Wertung, Vorwurf, Anspruch und Unterstellung Teil der Kommunikation. Die Herzlichkeit verschwindet und das Trennende steht dann schnell im Vordergrund der Beziehung.
Im erwachsenen Beziehungsmuster rücken Mitgefühl und Verständnis mit mir selbst und anderen ins Zentrum des Lebensgefühls. Ich übernehme die Verantwortung dafür, von meiner Seite ohne Anspruch, Urteil, Vorwurf und Wertung in Beziehung zu gehen. Und damit öffne ich die Tür dafür, dass mein Partner das auch umgekehrt machen kann. Niemand hat im erwachsenen Beziehungsmuster einen Anspruch daran, wie der andere zu sein hat. Beide haben den Fokus darauf, wie sie selbst Beziehung gestalten und auch im Konflikt in Beziehung bleiben können.
Man ist im erwachsenen Beziehungsmuster angekommen, wenn es einem keine Angst mehr macht, unterschiedliche Meinungen und Bedürfnisse zu haben und sie gut nebeneinander stehen lassen kann, ohne dass sie sich gegenseitig ausschließen.
In so einer Beziehung können sich beide sicher fühlen, vertrauen und Nähe ohne Angst zulassen.
Wer sich zu diesem Thema vertiefen möchte - in meinem Blog gibt es in den Rubriken "Beziehung und Konflikt" und "Achtsame Kommunikation" viele praktische Beispiele dafür, wie man sich im Konflikt begegnen kann und wie man Konflikte so repariert, dass Nähe nicht verloren geht.
Übung:
Es ist nicht leicht, den Mut zu finden, in Beziehungen zu sich und seinen Bedürfnissen zu stehen. Aber aus meiner Sicht ist es unerlässlich, sich selbst wichtig zu nehmen und sich zu zeigen, wenn man nicht die Illusion einer Beziehung führen möchte.
Daher möchte ich mit diesem Beitrag motivieren, Stück für Stück diesen Mut aufzubringen.
Jedes Mal, wenn es gelingt, zu mir zu stehen, ohne Urteil, Wertung, Vorwurf oder Anspruch dem anderen Gegenüber, dann mache ich mich in Beziehung sichtbar. Und mit jedem Mal, wo das gelingt, wächst mein Selbstwert, mein Selbstvertrauen und die herzliche Beziehung zu meinem Gegenüber.
Dabei gilt immer der Grundsatz: Mein Bedürfnis ist genauso wichtig wie deines. Es ist nicht wichtiger und es ist nicht weniger wichtig. Ich stelle mich nicht über dich und ich mache mich nicht zum Opfer.
Sich selbst "und" den anderen zu verstehen, ist das Ziel.
Eine Lösung für eine Situation zu finden, mit der sich "beide" wohlfühlen, ist das Ziel.
Gelingt das, bin ich im erwachsenen Beziehungsmuster angekommen.
Die Sehnsucht nach Nähe und Beziehung wird dann durch die Erfahrung von Nähe und Sicherheit ersetzt.