Heute habe ich ein schönes Zitat gesehen, das für mich die Essenz von Beziehung ist. Und ganz besonders gilt das für die Beziehung zwischen Eltern und Kindern:
"Unsere Aufgabe ist es, Kindern zu helfen, die Fähigkeiten, die sie noch nicht haben, aufzubauen, und sie nicht dafür zu bestrafen, dass sie Dinge nicht können."
Für mich berührt dieser Satz die Essenz dessen, was unsere Verantwortung gegenüber Kindern ist.

Wo konnte ich meinen Kindern Sicherheit, Herzlichkeit, Mitgefühl und Unterstützung geben und wo war das nicht so - und welche Folgen hatte das in beiden Fällen?
Wo habe ich bei meinen Eltern und engen Bezugspersonen Sicherheit und Geborgenheit erlebt und wo nicht - und welchen Preis hatte das für mich?
Was bewirken die Beziehungen in unserem Leben, bei denen wir - egal in welchem Alter - so wie wir sind angenommen werden? Was machen diese Beziehungen mit unserem Selbstwert, unserem Selbstvertrauen?
Und wie ist es, als Kind vielleicht täglich mit Angst zu leben, keinen sicheren Menschen zu haben, bei dem ich Zuflucht und Verständnis finden kann?
Überall dort, wo Kinder Angst vor erwachsenen Bezugspersonen haben, hat der Erwachsene seine ureigenste Verantwortung nicht erfüllt und bleibt dem Kind etwas schuldig, dass das Kind von nirgends sonst beziehen kann. Nämlich Sicherheit, Schutz, Orientierung und ein Gefühl, dass das Kind so wie es ist, willkommen und sicher ist.
Neben den Eltern haben Lehrer die gleiche Verantwortung, Kindern keine Angst zu machen. Denn nicht nur unterbricht Angst Beziehung, sie unterbricht auch die Fähigkeit zu lernen. Angst stiehlt jede Form von Freude, Neugier und Motivation. Angst führt zu einem Selbstbild, in dem ich lerne, mich geringzuschätzen und mich zu zwingen, weil ich gezwungen werde. Durch Angst lerne ich, über mich und andere zu urteilen, statt mir selbst und anderen Menschen mit Mitgefühl und Verständnis zu begegnen.
Angst steht Synonym für Urteil, Wertung, Kontrolle, Kritik, Misstrauen, Vorwurf, Strafe, Zwang und Druck. Angst steht auch für ein Lebensgefühl, dass ich so wie ich bin, falsch bin. So steht Angst für Scham, Schuldgefühle, niedrigen Selbstwert, wenig Selbstvertrauen und ein Gefühl von allein sein. All das erzeugt die Angst.
Herzlichkeit steht für Nähe, Vertrauen, Sicherheit, Geborgenheit, Freude, Augenhöhe, Motivation, Neugier, Dinge spielerisch angehen, Verbundenheit, Zugehörigkeit, Wir-Gefühl. Andere verstehen mich, also verstehe ich mich auch. Wird mir und meinen Bedürfnissen als Kind von anderen ein Wert zuerkannt, bekomme ich Selbstwert und Selbstvertrauen. Durch die Herzlichkeit lerne ich auch, auf andere Menschen herzlich zuzugehen.
Wie wichtig sind Eltern & Lehrer, die mir Mut machen und mich stärken als "Menschen" im Leben von Kindern und was zerstören Eltern & Lehrer in Kindern durch Urteil und Strafe? Ich erlebe bei meinen Klienten immer wieder, wie ein Lehrer, eine Lehrerin durch Beschämung, Urteil und Wertung das Leben von Menschen bis tief in ihr Erwachsenenleben beeinträchtigen. Manche können sich nach der Schule nie mehr einer Prüfungssituation aussetzen, ihr Studium nicht abschließen, können nie mehr öffentlich reden oder haben wie ich mit 8 Jahren das letzte Mal etwas gezeichnet, weil die Lehrerin ein definitives Urteil über mich ausgesprochen hatte, dass ich das nie können werde.
Wie wichtig und entscheidend für eine gute Entwicklung ein einziger Lehrer, ein einziger Mentor, ein einziger herzlicher Mensch im Leben eines Menschen sein kann, wird durch ein Beispiel sehr klar.
Durch ein großes Erdbeben auf Haiti sind 2010 tausende Kinder zu Waisen geworden. Jahre später wurde untersucht, wie es diesen Kindern als Erwachsenen geht. Viele der Kinder hatten sich großartig entwickelt und haben keine Folgen des damaligen Traumas gezeigt. In jeder einzelnen Biografie dieser Kinder gab es eine Übereinstimmung. Jedes dieser Kinder hatte zumindest "einen" Erwachsenen gefunden, der da war, der in dem Kind etwas Besonderes gesehen hat, der das Kind unterstützt und ihm Mut gemacht hat, der dem Kind Sicherheit, Halt, Zeit und Aufmerksamkeit geschenkt hat.
Herzlichkeit oder Angst
Die Gehirnwellen von Kindern schwingen auf einer Frequenz, die ihnen kein kritisches Denken erlaubt. Das, was sie von Erwachsenen über die Welt erfahren, ist für sie wahr. Erzählen wir ihnen, dass die Welt gefährlich ist und das Kind niemandem trauen kann, dann übernehmen Kinder das als Faktum. Sagen wir unserem Kind, dass es dumm ist oder lästig oder hässlich, so wird das Kind das über sich selbst glauben - egal ob das stimmt oder nicht. Und diesen Glauben, dieses Selbstbild nehmen wir leider alle als tiefe innere Wahrheit mit in unser Erwachsenenleben. Angst prägt nicht nur unser Bild von der Welt, sondern auch unser Selbstbild. Deswegen ist es so wichtig, mit möglichst wenig Angst aufzuwachsen.
Jede negative Eigenschaft, die ich meinem Kind zuordne, macht etwas mit seinem Selbstwert und Selbstvertrauen. Jede Strafe, jedes Urteil, jeder Vorwurf, jede Wertung meinem Kind gegenüber trennt mein Kind nicht nur von sich selbst und bringt es in Konflikt.
So gibt es in der Beziehung zum Kind nur Herzlichkeit auf der einen Seite oder Angst auf der anderen Seite. Konstruktives, unterstützendes, das Selbst stärkende oder destruktives, abwertendes, das Selbst einengendes, das mit Zwang, statt mit Mitgefühl und Verständnis in Beziehung geht.
Mein Kind braucht mich als Schutz und Orientierung
Als Kind bin ich auf Hilfe angewiesen und ich kann mir meine Bezugspersonen nicht aussuchen. Kinder haben keine Möglichkeit, aus sich heraus zu wissen, wer sie sind oder wie die Welt ist. Sie können das nur durch Erwachsene erfahren.
Wenn meine Welt als Kind gefährlich ist, dann brauche ich als Kind einen Zufluchtsort - einen sicheren Hafen. Das sind meine Eltern, Großeltern, Verwandten, Lehrer. Ihre Aufgabe ist es, mich zu schützen, zu unterstützen, zu ermutigen, mir Sicherheit zu geben. Aber was mache ich als Kind, wenn ich Angst vor denen habe, die mir Sicherheit geben sollten?
Dann entsteht im Kind der Wunsch, sich zu verstecken, wegzulaufen. Und gleichzeitig hat das Kind auch dann nur die Möglichkeit, zu denen zu laufen, die ihm Schutz bieten sollten. Doch genau der Weg ist versperrt, wenn ich vor erwachsenen Bezugspersonen Angst habe.
So kommt ein Kind in ein tiefes Gefühl von allein sein, verlassen sein und von Scham.
Sehr klar und bewusst zu sein, dass es diese beiden Pole in Beziehung gibt - Herzlichkeit und Angst - ist für mich ein ganz wichtiger Fokus im Leben. Und das ganz besonders gegenüber Kindern, die mit offenem Herzen auf die Welt kommen, die unseren Schutz überlebenswichtig brauchen, die sehr verletzlich sind und deren Persönlichkeit wir prägen - indem wir ihnen Sicherheit, Halt und Ermutigung geben - oder indem wir ihnen mit Kontrolle, Urteil und Strafe begegnen.
Übung:
Wenn du an deine eigene Kindheit zurück denkst - welche Erwachsenen tauchen in deiner Erinnerung auf, bei denen du ganz du selbst sein konntest, die dir mit Herzlichkeit begegnet sind, bei denen du dich sicher und geborgen gefühlt hast?
Wie haben diese Erwachsenen dein Lebensgefühl und dein Weltbild geprägt? Wie wichtig war es in deinem Leben, diese Menschen gehabt zu haben? Was hast du durch sie erfahren, was hast du durch sie gelernt? In welche Gefühle bringt es dich, wenn du die Augen schließt und an diese Menschen denkst?
Welche Erwachsenen tauchen in deiner Erinnerung auf, vor denen du Angst hattest, die Kontrolle und Zwang ausgeübt haben, die strafend und urteilend waren?
Wie geht es dir, wenn du die Augen schließt und an diese Erwachsenen denkst und an die Erlebnisse, die dich mit ihnen verbinden? Wie haben diese Erwachsenen dein Lebensgefühl und dein Weltbild geprägt?
Mit diesem Bewusstsein, frage dich wie du Kindern gegenüber trittst und ob sie Angst vor dir haben müssen? Und frage dich, wer du ihnen gegenüber sein möchtest. Denn wer du ihnen gegenüber bist, bestimmt die Persönlichkeit, das Selbstbild und das Selbstvertrauen der Kinder.
Was hättest du dir gewünscht, wie Erwachsene in deiner Kindheit mit dir umgehen?