Über das Wesen der Herzlichkeit
- Dirk Meints
- 10. Sept. 2021
- 4 Min. Lesezeit

Herzlichkeit ist für mich die Essenz von Achtsamkeit und von Beziehung. Herzlichkeit im Umgang mit mir selbst und mit anderen.
Wo immer Beziehung gelingt, sind wir herzlich verbunden. Wann immer wir verletzt sind, sind wir sofort von Herzlichkeit abgeschnitten und nicht mehr zu Empathie fähig. Wir sind dann in Konfliktgefühlen gefangen und wissen oft nicht, wie wir da wieder rausfinden können.
Weil die Herzlichkeit so wichtig ist, heute also mal eine Betrachtung zu ihren Qualitäten.
Wie erkenne ich Herzlichkeit?
Herzlichkeit vermittelt sich nicht dadurch, was ich sage oder tue, sondern wie ich etwas sage und tue.
Herzlichkeit zeigt sich über lächeln und lachen. Über ein Strahlen der Augen und über Freude, die ich ganz klar im Gesicht meines Gegenübers ablesen kann und die ich auch ganz bewusst bei mir wahrnehmen kann. Ob mein Herz zustimmt, das erkenne ich immer am Lächeln. Ein Lächeln heißt, dass ich gerne in Beziehung gehe.
Wenn ich an jemanden denke, mit dem ich herzlich verbunden bin, stiehlt sich ganz automatisch ein Lächeln auf mein Gesicht. Das Gesicht eines herzlichen Menschen hat immer ein Lächeln um die Augen. Auch zwei Verliebte sind an ihrem Dauerlächeln leicht zu erkennen.
Da ist jemand, der sich freut, dass ich so bin, wie ich bin und genau so werde ich angenommen.
Herzlichkeit hat eine angenehme Sanftheit, Weichheit und Entspanntheit. Wann immer wir uns herzlich verbunden fühlen, entspannt sich unser ganzer Körper und es entsteht ein Gefühl von Geborgenheit und Zugehörigkeit.
Herzlichkeit urteilt nicht. Herzlichkeit hört zu und versteht. Sie kann sich in den anderen hinein versetzen - ohne Urteil und Wertung. Sie möchte jemand anderen nicht ändern, sie kennt keine Ansprüche und Vorwürfe, Wertungen und Urteile. Herzlichkeit stellt sich nicht über jemanden und sie ordnet sich auch nicht unter. Sie ist im Einklang mit der Situation wie sie ist.
Herzlichkeit ist mitfühlend. Sie erlaubt, dass ich die Gefühle, in denen ein anderer Mensch ist, in mir zulasse. So entsteht ein gemeinsamer Resonanzraum.
Geht es jemandem nicht gut, ist die mitfühlende Qualität des Herzens die Traurigkeit. So sind nicht nur lächeln und lachen Ausdruck von Herzlichkeit, sondern auch Tränen.
Herzlichkeit lässt unterschiedslos alle Gefühle zu. Auch wenn es schwierige Gefühle, wie Angst, Wut oder Traurigkeit sind. Denn sie versteht, warum sie jemand fühlt und kann dadurch Menschen Halt geben, wenn es ihnen nicht gut geht. Herzlichkeit vermittelt, es ist okay, sich so zu fühlen, wie ich mich fühle. Es ist verständlich. Nichts daran ist falsch.
Herzlichkeit löst
Wenn wir mit jemand gut in Beziehung und Resonanz sind, entspannen wir uns. Die Entspannung ist der Ausdruck von Herzlichkeit und Verbundenheit. Anspannung hingegen ist der Ausdruck von Angst, Konflikt und Getrenntheit.
In der Anspannung sind wir körperlich wie emotional in Konfliktgefühlen gefangen und darin abgeschnitten von uns selbst und anderen. In diesem Zustand ist unmöglich, in Beziehung zu gehen und mitfühlend zu sein - letztlich auch mit sich selbst. Wir können Mitgefühl in der Angespanntheit ganz einfach nicht mehr verkörpern und daher auch nicht mehr spüren.
Nach einem Konflikt zu uns zu kommen, heißt also immer einen Weg zu finden, durch den ich wieder in Herzlichkeit und Entspannung finde. Dann kann sich die Anspannung in den Muskeln lösen. Ich fange wieder an, mich zu spüren, kann wieder mehr Gefühle verkörpern und so auch wieder mit einem anderen Menschen in Resonanz gehen. So komme ich im Körper und in der Psyche in ein gelöstes Gefühl.
Es gibt da ein schönes Experiment mit zwei Metronomen, die verschieden schnell anschlagen. Stehen sie auf einer Steinplatte, bleibt jedes für sich in seinem Rhythmus. Stehen sie aber auf einer Holzplatte, die die Schwingungen beider aufnimmt, entsteht Resonanz und beide Metronome kommen in kurzer Zeit in den gleichen Takt.
So wie sich zwei Metronome einschwingen, passiert das auch bei Menschen. Diese Beziehungsqualität suchen wir alle.
In einem angespannten Körper verliere ich aber nicht nur die Fähigkeit mit anderen in Resonanz zu gehen, sondern auch mit mir selbst. Ich bin mit meinen unangenehmen Gefühlen in Konflikt, will sie loswerden und bin in Urteil und Wertung mir selbst gegenüber gefangen. Ich verliere also auch die Herzlichkeit mit mir selbst.
Wie kann ich wieder zurückfinden?
Auf meine Bedürfnisse achten
In der Achtsamkeit ist es wichtig, "immer zuerst!", die Verbindung zu mir selbst zu suchen. Mir selbst Mitgefühl und Verständnis zukommen zu lassen und mir zu erlauben zu fühlen, was ich gerade fühle - auch wenn es unangenehme Gefühle sind. Sie gehören zu mir und sind aus gutem Grund da. Sie wollen gehört und angenommen werden.
Auf mich und meine Gefühle zu schauen, mir selbst gegenüber Verständnis zu haben, mir bewusst zu werden, welche meiner Bedürfnisse verletzt worden sind, ist die Basis jeder wirklich herzlichen Beziehung mit mir selbst. Mich selbst herzlich anzunehmen, egal wie es mir gerade geht, und mit allen Gefühlen, die gerade da sind, führt ebenfalls in Entspannung und Beziehung.
Lasse ich diesen Schritt aus, bleibe ich angespannt und starr und nehme nur Rücksicht auf die Bedürfnisse anderer. Dann verrate ich die Herzlichkeit mir selbst gegenüber und fühle ich mich in der Beziehung zu anderen schnell als Opfer. Da ich meine Bedürfnisse so nicht spüre und ausdrücke, komme ich in das Gefühl in Beziehung unsichtbar zu werden.
Herzlich in Beziehung zu gehen heißt also, dass die Herzlichkeit, die ich mir selbst gegenüber habe, gleich groß ist, wie die Herzlichkeit dem anderen gegenüber.
Meine Bedürfnisse und Gefühle sind genauso wichtig wie die des anderen. Sie sind nicht wichtiger und nicht weniger wichtig. Nur in diesem Gleichgewicht finden wirklich Herzlichkeit und Beziehung statt.
Ich möchte den heutigen Beitrag mit einem Text von Virginia Satir abschließen, weil dieser Text so schön zusammenfasst, wie sich gelebte Herzlichkeit anfühlt:
Wie ich dir begegnen möchte - von Virginia Satir
Ich möchte Dich lieben, ohne Dich einzuengen;
Dich wertschätzen, ohne Dich zu bewerten;
Dich ernst nehmen, ohne Dich auf etwas festzulegen;
zu Dir kommen, ohne mich Dir aufzudrängen;
Dich einladen, ohne Forderungen an Dich zu stellen;
Dir etwas schenken, ohne Erwartungen daran zu knüpfen;
von Dir Abschied nehmen, ohne Wesentliches versäumt zu haben;
Dir meine Gefühle mitteilen, ohne Dich für Sie verantwortlich zu machen;
Dich informieren, ohne Dich zu belehren;
Dir helfen, ohne Dich zu beleidigen;
mich um Dich kümmern, ohne Dich verändern zu wollen;
mich an Dir freuen, so wie Du bist.
Wenn ich von Dir das Gleiche bekommen kann, dann können wir einander wirklich begegnen und uns gegenseitig bereichern.
Virginia Satir