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Über den Atem zu Gelassenheit finden

Die Achtsamkeit sucht das Gleichgewicht im Körper, im Atem, im Fühlen. Sie sucht die Mittigkeit zwischen zwei Polen. Denn im Gleichgewicht und der Mittigkeit kann ich optimal in Beziehung gehen - mit mir selbst und mit anderen.

Über den Atem zu Gelassenheit finden I Achtsamkeit Blog

Was macht den Atem dabei so wichtig?


Der Atem besteht aus zwei Gegensätzen, die zusammen ein Ganzes bilden. Dem Einatmen und dem Ausatmen. Wenn dieses Atmen in einem Körper stattfindet, der entspannt ist und den Atemraum voll nutzt, habe ich einen weiten Atemraum. Ich atme tief und ruhig. Einatmen und Ausatmen sind im Gleichgewicht. In diesem Gleichgewicht schwingt dann auch mein Nervensystem zwischen zwei Polen hin und her.


Mit jedem Einatmen wird ein Teil meines Nervensystems aktiviert, das für Aktivität, Wachheit, Anspannung, Antrieb und Fokus im Außen steht. Hier bin ich schnell, rational und effizient. Dieser Teil des Nervensystems nennt sich Sympathikus.


Mit jedem Ausatmen wird ein Teil meines Nervensystems aktiviert, das für Entspannung, Regeneration, Reparatur, Produktion von Immunzellen, Fühlen und Eigenwahrnehmung, zuständig ist. Hier bin ich ruhig, kann gut einen vertieften Fokus halten, kann in Beziehung gehen. Ich spüre mich und kann meine Gefühle und Bedürfnisse gut wahrnehmen.


Wenn der Atem nicht im Gleichgewicht ist


Sind beide Systeme beim Atmen im Ausgleich, bin ich ein gutes Resonanzsystem, das das Innen und Außen gleichzeitig wahrnehmen kann.


Im Gleichgewicht zwischen Einatmung und Ausatmung kann ich jederzeit aktiv, schnell und rational sein - "und ich kann gleichzeitig" - ruhig, fühlend und mitfühlend sein. Schwinge ich zwischen diesen gegensätzlichen Polen hin und her, kann ich in Beziehung mit mir "und" dem anderen sein, mit meinem Herz "und" meinem Verstand, mit meinen Bedürfnissen und den Bedürfnissen des anderen.


Im hin und her schwingen zwischen den Nervensystemen kann ich das Positive "und" das Negative gleichzeitig halten und verbunden bleiben. Ich kann die Einheit von Gegensätzen erfahren.


Diese Vereinigung von Gegensätzen steht im Zentrum der achtsamen Wahrnehmung.


Im Jetzt bewusst mit mir und dem Außen verbunden zu bleiben und dabei einen weiten und sicheren Raum zu haben, erlaubt es, mit allem in Beziehung zu sein - auch mit dem Schwierigen.


Was passiert bei Stress


Bei Stress wird mein Atemraum eng. Mein flexibler, weiter Resonanzraum wird eng und starr. Im Stress kommt es oft zu einem Halten des Atems. Oft wird der Atem auch schnell und flach. Auf jeden Fall kommt es zu einer Verkürzung der Ausatmung. Ich lasse dann beim Ausatmen nie ganz los, wodurch das parasympathische Nervensystem nicht mehr richtig aktiviert wird. Ich spüre mich dann nicht mehr. Ich verschwinde aus meiner Wahrnehmung.

Dieser ganze Vorgang hat mit dem Angstsystem in uns zu tun - damit, wie ich auf Gefahr reagiere. Verliere ich meinen weiten Atemraum, rutsche ich leicht in den Flucht- und Kampfmodus. Wird mein Körper hart und eng, kann ich nicht mehr mitfühlen, denn mein Resonanzraum ist nicht mehr da. Daher kann ich auch nicht mehr mitfühlen. Ich verliere meine Herzlichkeit und muss mich abgrenzen. So komme ich unweigerlich in Konflikt mit mir und anderen.


Das Toleranzfenster


Jeder von uns hat ein emotionales Toleranzfenster. Je weiter das Fenster ist, desto mehr ruhe ich in mir. Ich bin dann nicht so leicht aus der Fassung zu bringen. Diesen Zustand nennt man gern Gelassenheit.


Ein enges Toleranzfenster hingegen ist mit Gefahr, Gereiztheit, Nervosität, Angst, Konflikt und Abgrenzung verbunden.


Wie weit oder eng mein Toleranzfenster ist, spiegelt sich immer darin, wie weit mein Atemraum ist und wie gut Einatmen und Ausatmen im Ausgleich sind.


Bin ich im Ausgleich, kann ich auch stressige Situationen gelassen erleben. Dann bin ich ganz da, behalte aber gleichzeitig eine Entspanntheit, die mir Ruhe gibt und die Möglichkeit, wirklich in Beziehung zu gehen.


Einfach gesagt: Jedes Einatmen verbindet mich mit dem Außen, jedes Ausatmen verbindet mich mit mir selbst. Einatmen, die Bedürfnisse des anderen, ausatmen, meine Bedürfnisse.


Wenn ich beide Perspektiven zu einem Ganzen verbinden kann, bin ich in der achtsamen Wahrnehmung.


Bewusste Atembeobachtung


Die bewusste Atembeobachtung in der Achtsamkeit und der Stellenwert des Atems in der Meditation kommt aus diesem Zusammenhang.


Achtsamkeit heißt, immer wieder bewusst wahrnehmen: Wie sind Ein- und Ausatmen im Gleichgewicht?


Wie weit ist mein Atemraum?


In der annehmenden Haltung der Achtsamkeit zu meditieren, führt dazu, dass die Anspannungen im Körper abnehmen. Der Atemraum wird dadurch weiter. Die Entspannung in Körper und Atmung führt mich in Richtung des beschriebenen Gleichgewichts zwischen Einatmung und Ausatmung.


Emotionale Selbstregulation über den Atem


Jede Situation löst in uns Gefühle aus. Jedes Gefühl wird verkörpert und drückt sich daher immer über unseren Atem aus. So verschieben Gefühle ständig das Gleichgewicht zwischen einatmen und ausatmen.


Interessanterweise nehmen nicht nur Gefühle Einfluss auf unseren Atem. Der bewusste Fokus auf den Atem wirkt wiederum auf Gefühle zurück.


Übe ich mich in der Atemmeditation, lerne ich, meinen Atem in ein gutes Gleichgewicht und in einen weiten Atemraum zurückzubringen.


Ganz automatisch folgt diesem weiten Atemraum mein emotionales Erleben. Stress, Angst, Gereiztheit, Energielosigkeit, Konflikte, Grenzverletzungen,..... verändern sich, wenn ich bewusst über meinen Atem und meinen Körper mein Toleranzfenster vergrößere.

 

Übung:


In Achtsamkeitskursen, wie dem MBSR Kurs, wird das Bewusstsein für den Atem und das Körperbewusstsein ganz aktiv geübt und erfahren. Gleichzeitig gibt es bei den Kursen immer einen Fokus im Alltag, durch den ich lerne, das Gleichgewicht zwischen Innen- und Außenwahrnehmung in meinem täglichen Leben bewusst wahrzunehmen.

Als Einstiegsübung zum Thema Atem kann ich empfehlen, eine Woche lang ganz bewusst auf den eigenen Atem zu achten und sich Notizen dazu zu machen.


Wie geht es meinem Gleichgewicht zwischen Ein- und Ausatmen und wie korrespondiert das mit meinem emotionalen Erleben?


Wie eng oder weit fühle ich mich in Situationen im Körper? Und was macht das mit meinem Atemraum?


Wer mag, kann auch ausprobieren, wie es ist, bewusst länger auszuatmen, um Körper und Geist nach einer langen Anspannung wieder in die Entspannung zu bringen. Spüre dabei in deinen Körper und deine Muskeln rein. Wie fühlt sich das an, wenn auch das letzte Molekül noch ausgeatmet werden kann, bevor ich wieder einatme?


Wie wirkt das auf deine Emotionen und auf dein Toleranzfenster?


Den eigenen Atem bewusst als etwas wahrzunehmen, das durch mein Erleben ständig in Veränderung ist, ist ein erster Schritt in eine achtsame Körperwahrnehmung, in der ich meine emotionale Erfahrung über den Atem bewusst mitsteuern kann.



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