Die Verwandlung einer trägen und oft unansehnlichen Raupe in einen wunderschönen, zarten und freien Schmetterling ist ein Symbol für Veränderung.
So zur Selbstentfaltung zu finden ist eine tiefe Sehnsucht. Doch wie gelingen solche Veränderungsprozesse? Kann ich mich überhaupt ändern? Oder bleibe ich immer die oder der Gleiche? Das sind ganz wichtige zentrale Fragen im Leben.
Wie ist das bei Raupe und Schmetterling?
Wie der Schmetterling entsteht
Die Raupe hüllt sich irgendwann in ein Kokon und nach einiger Zeit schlüpft aus diesem Kokon ein wunderschöner Schmetterling. Aber was passiert genau in diesem Kokon? Die Fantasie ist, daß sich der Körper der Raupe Stück für Stück umbaut - daß die Gliedmaßen erweitert und umgeformt werden.
Doch wenn man in der Mitte des Umbauprozesses von Raupe auf Schmetterling den Kokon öffnet, findet man darin nur einen zähflüssigen, körperlosen Schleim. Die Raupe ist verschwunden und der Schmetterling ist noch nicht da.
Das ist die Natur von Veränderungsprozessen. Etwas Altes muss sich erst völlig auflösen. Erst dann kann etwas Neues entstehen.
Dieses Auflösen ist oft mit Angst verbunden. Und daher möchte ich den ersten Teil dieser kleinen Serie mit dem Thema Angst beginnen.
Bewusst mit Angst umgehen
Angst ist gleichzeitig Freund und Feind von Veränderung. Und daher ist es wichtig zu verstehen, was mir die Angst sagt und wie sich mich begleitet. Wenn ich das richtig lesen kann, weiß ich immer, ob Veränderung gelingt.
Die Angst ist ein notwendiger Begleiter in Veränderungsprozessen, aber sie darf nicht zu groß werden, sonst wird sie zum Boykotteur.
Die Komfortzone
In der Komfortzone fühlt es sich wunderbar an. Ich kenne mich hier aus, die Dinge sind berechenbar und ich fühle mich dem, was auf mich zukommt gewachsen. Dabei bin ich entspannt und fühle mich wohl. Das ist ein sicherer und angstfreier Zustand. Aber es kann nach einiger Zeit auch ziemlich langweilig werden. Denn es passiert nichts Neues.
Es gibt in dieser Zufriedenheit keine Veränderung und kein Wachstum.
Sobald ich aber einen Impuls habe, etwas zu verändern und zu wachsen, betrete ich unbekanntes Terrain und meine Psyche reagiert ganz automatisch immer auch mit Angst. Entgegen landläufiger Meinungen ist das gut so, denn....
Die Angst ist mein Freund
Wenn ich mich in neue und unbekannte Gebiete aufmache, werden meine Sinne durch die Angst viel mehr geschärft, weil ich ja noch nicht weiß was auf mich zukommt und wie ich damit umgehe. Ich muss also aufpassen und meinen Fokus ganz auf dem Unbekannten haben. Halten sich die Neugier auf das Unbekannte und die Angst die Waage, bin ich im positiven Sinn aufgeregt.
Das erste Mal mit Schultüte in die Schule gehen, der erste Kuss, das erste Mal alleine im Auto fahren ohne Fahrlehrer neben mir, das erste Mal alleine im Ausland - das sind alles Schritte in neue Erfahrungen, die Ängste berühren. Doch Neugier und Vorfreude halten sich die Waage.
Die Angst sorgt bei diesen Erfahrungen dafür, daß ich meinen Fokus, meine Aufmerksamkeit voll auf der neuen Erfahrung habe und dort ja nichts verpasse, was wichtig sein könnte.
Bei positiv aufregenden Erfahrungen ist der Angstlevel nicht sehr hoch. Und dadurch wird Wachstum und Veränderung möglich.
Ich habe hier eine kleine Grafik gemacht, die veranschaulicht, in welchem Bereich die Angst sich bei diesen Erfahrungen bewegt.
Bei 0 bin ich ganz in meiner Komfortzone. 10 ist die reine Panik. So beginnt unmittelbar nach dem Verlassen der Komfortzone ein bißchen Angst und ich komme in eine Wachstumszone. Dieses Potenzial für gutes Wachstum endet aber irgendwo bei einem Angstlevel von 4. In der Zone von 0-4 habe ich sogenannten positiven Stress. Hier erlebe ich die Dinge im positiven Sinn als aufregend.
Ich kann mutig meinen Weg gehen - mich überwinden - und die Chancen stehen gut, daß ich belohnt werde und neues lerne. Ich nenne diesen grünen Bereich für mich den Beziehungsraum.
Der Beziehungsraum
Inn diesem grünen Bereich kann ich gut mit der neuen, unbekannten Sache in meinem Leben, mit mir selbst und mit anderen in Beziehung sein und lerne. Und zwar insbesondere dann, wenn ich auf dem Weg positive emotionale Erfahrungen mache. Denn dann wird beim nächsten Schritt ins Unbekannte die Angst kleiner und erlaubt wieder mehr Wachstum.
Mache ich negative emotionale Erfahrungen, wächst die Angst beim nächsten Schritt und ich gehe wieder einen Schritt zurück in Richtung Komfortzone.
So reguliert die Angst, daß wir uns nicht überfordern und schützt uns davor, daß wir unangenehme Erfahrungen machen.
Erreicht meine Angst einen level von 4-10 verändert sich mein Erleben.
Die Angst wird destruktiv
Steigt der Angstlevel über 4, kann ich zwar noch weiter gehen und einen Veränderungsprozess forcieren. Aber die Angst übernimmt dann die Regie. Sie fängt an, alle meine Bemühungen zu boykottieren - gegen meinen bewussten Willen.
Diese Form des Selbstboykotts kennt jeder aus seinem Leben. In diesem Bereich ist man schnell in inneren und äußeren Konflikten und fühlt sich in der Regel überfordert. In diesem Bereich verliert man die Beziehung zu sich selbst, zu anderen und leider auch zu dem was man da tun will. Denn die Angst besetzt einen immer größeren Teil der inneren Aufmerksamkeit. Unser Unbewusstes führt dann Regie in unserem Leben.
Die Angst will mich vor dieser Überforderung schützen.
Von 0-4 sagt sie, "ist okay, aber sei vorsichtig". Aber sie lässt mich entscheiden. Wird die Angst größer als Stufe vier, ist es umso wichtiger, sie in ihrer Funktion ernst zu nehmen und einen Schritt zurückzugehen. Denn man betritt den Raum, in dem man sich unweigerlich überfordert.
In der Angst ist eine tiefe Weisheit, denn sie hat alle Vorgänge in mir im Blick - auf emotionaler und auf körperlicher Ebene. Sie ist eng mit meiner Persönlichkeit verbunden und weiß, wo ich in der Vergangenheit Fehlschläge und Verletzungen erlebt habe. Sie möchte mich auch davor beschützen, erneut verletz zu werden.
Ignoriere ich die Angst, wird sie größer und kann mich bis in die Panikattacke und in den Burnout treiben.
Doch sie tut das in Wirklichkeit, weil sie gut auf mich schaut.
Es ist also wichtig zu lernen, mich immer wieder in den grünen Bereich zu bringen, in dem Veränderung möglich ist.
Aber woher weiß ich, in welchem Bereich ich bin, oder ob ich mich gerade überfordere?
Dazu im Folgenden eine kleine Achtsamkeitsübung.
Übung
Das Unbewusste steuert 95% meiner täglichen Handlungen.
Was mein Unbewusstes mir sagen will, das kann ich nicht herausfinden, indem ich darüber nachdenke oder "Warum" - Fragen stelle. Mein Verstand kann das Unbewusste nicht ergründen.
Wenn ich wissen möchte, wie viel Angst ich vor einem Veränderungs- und Wachstumsschritt habe, kann ich jederzeit meinen Körper fragen. Ich werde immer eine präzise Antwort bekommen. Mein Körper ist das zuverlässigste Informationssystem zum Unbewussten in mir.
Um ihn zu fragen, kann ich mich hinsetzen, meine Augen schließen und mich ganz bewusst mit allen Sinnen mit der neuen Erfahrung verbinden, die ich machen möchte. Mit dem, wie es sich anfühlt, in diese neue Welt zu gehen.
Wenn ich mit allen Sinnen in diese neue Erfahrung eingetaucht bin, achte ich auf meine Körperreaktion. Je angespannter ich bin, desto mehr Angst habe ich in Bezug auf diese Veränderung. Je entspannter ich bin, desto freier ist der Weg für einen guten Veränderungsprozess.
Wenn ich lerne, die Angst als meinen Freund zu begreifen, kann ich sie ernst nehmen, ihr folgen und meine Handlungen so anpassen, daß ich im grünen Bereich bleibe.
Die Idee wird klar. Ich kann mich bei jedem Veränderungsprozess entscheiden, meine Schritte so zu setzen, daß meine Angst im grünen Bereich bleibt.
Meine Freunde sind dabei mein Körper und die Angst.