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Wenn du es eilig hast, geh langsam / Burnout


"Wenn du es eilig hast, geh langsam" ist nur ein Teil eines japanischen Sprichworts, den wir vielleicht schon mal gehört haben.

Es scheint paradox. Noch paradoxer wird es, wenn man den zweiten Teil des Sprichworts kennt: "Wenn du es noch eiliger hast, geh einen Umweg."

In diesem Zitat zeigt sich für mich eine Grundhaltung der Achtsamkeit.

Schnell und viel ist das, was uns in unserer Kultur als Erwachsene jeden Tag begegnet. Alles ist voll - für nichts ist Zeit, alles ist optimiert, und wir leben in diesem Hamsterrad mehr wie Maschinen als wie Menschen.

Spüren was ist

Schnell und viel tut uns nicht gut, sondern wenig und langsam. Wenn wir die Dinge in unserem Leben verlangsamen und die Anzahl der Dinge die wir tun reduzieren, beginnen wir uns wieder zu spüren. Wir spüren wieder, wie es uns mit Dingen geht, und haben überhaupt die Möglichkeit uns selbst und unsere Gefühle wahrzunehmen.

Wenn uns das gelingt, sind wir auch in Beziehung mit dem was wir tun.

Wenn uns das nicht gelingt, kommen wir früher oder später in ein Lebensgefühl, wo wir Dinge nur noch aus einem "um - zu" Gefühl machen. Wir kochen, um zu essen, wir lesen, um Information aufzunehmen, wir reden, um etwas Bestimmtes zu erfahren.

"Um -zu" heißt nichts anderes, als daß wir den Augenblick in dem wir gerade sind nicht erleben, sondern daß wir ihn nur benutzen, um zu einem nächsten Augenblick zu kommen. Ohne daß wir den Augenblick selber wahrnehmen.

Kaum sind wir im nächsten Augenblick, sind wir im nächsten "Um - zu", und wir erleben unseren Tag als eine Aneinanderreihung von Sachzwängen und Tätigkeiten, die uns zwar erschöpfen, aber nirgends hinbringen. Und wir merken, daß hinter jedem "um - zu" ein neues "um - zu" lauert. Wir können nicht gewinnen. Je länger wir in diesem Rad laufen, desto mehr verlieren wir das Gefühl dafür, was wir eigentlich suchen.

Die Lösung liegt immer in der Verlangsamung. Nur in der Verlangsamung kommen wir wieder in Kontakt mit unseren Bedürfnissen. Nur in der Verlangsamung haben wir eine Chance uns wieder zu spüren und nur in der Verlangsamung kommen wir dadurch auch wieder in Kontakt mit dem Augenblick wie er ist.

Das Kochen wird von der "um - zu" Tätigkeit zu einer sinnlichen Erfahrung, die in sich toll ist. Ich habe nicht mehr das Gefühl, weiter laufen zu müssen, weil mir dort wo ich bin etwas fehlt - was ich aber nicht zu fassen kriege.

Wenn es mir gelingt, den Augenblick in dem ich bin wahrzunehmen, bin ich in dem Moment lebendig und verbunden, und es fehlt mir nichts. Ich brauche nicht mehr um zufrieden zu sein und ich muß nicht schneller werden, um etwas zu finden, was mir Befriedigung verschafft.

Das Besondere liegt nicht im größer, schneller, mehr - es liegt im Erlebnis des Augenblicks wie er ist. Wo uns das gelingt, sind wir in Einklang und haben alles was wir brauchen.

Schnelligkeit und Gefühle

Wie viele Einsichten in der Achtsamkeit ist auch diese genauso einfach anzuerkennen wie schwer umzusetzen. Denn Geschwindigkeit ist nicht nur etwas, was uns von außen begegnet. Geschwindigkeit ist auch etwas, was wir uns in vielen Bereichen unseres Lebens angewöhnt haben. Eben weil wir in Situationen mit Gefühlen in uns in Berührung kommen, die wir nicht fühlen wollen. Schnell was tun, schnell handeln, schnell was sagen - das sind alles Bewegungen, die es uns erlauben, in vielen Situationen unseren Gefühlen auszuweichen.

Wenn wir das als Persönlichkeit verinnerlichen, wissen wir gar nicht mehr, daß wir das machen - und wir spüren die unangenehmen Gefühle die wir nicht spüren wollen auch nur noch ganz peripher - denn sobald sie kommen, tricksen wir sie durch unsere Geschwindigkeit schon aus.

Egal, ob die Geschwindigkeit durch Anforderungen in unserem Berufsleben beispielsweise von außen kommt, oder durch unsere Persönlichkeit - der Effekt ist immer der Gleiche. Wir spüren uns nicht mehr, hetzen durch unser Leben und haben das Gefühl, oft nur noch "zu funktionieren." Das heißt nichts anderes, als daß wir uns fühlen wie seelenlose Maschinen, die ihr Soll erfüllen, oft um die Bedürfnisse andere in Beruf und Familie zu erfüllen.

Burnout

Unsere eigenen Bedürfnisse kennen wir dann nicht mehr. Wenn das dann noch kombiniert ist mit Situationen, mit denen wir in Konflikt sind, in denen es zu viele Neins in uns gibt, kommt es zum Burnout.

Der Burnout ist oft eine Reaktion unseres Körpers, in dem sich die Stresssymptome über lange Zeit einfach nicht mehr abbauen - die Anspannung zu einer permanenten Verspannung wird, und in dem wesentliche Teile des Energieflusses nicht mehr funktionieren.

Wir leben dann in dem alptraumhaften Gefühl, daß wir immer schneller laufen müssen, und kommen doch nicht mehr voran. Dabei werden wir immer dünnhäutiger, kommen immer mehr mit dem Außen in Konflikt, und dadurch auch mit uns selbst.

Wir können in der Geschwindigkeit unsere Grenzen nicht mehr schützen, weil wir uns nicht mehr spüren. Irgendwann brennt die Sicherung durch.

Und das ist dann oft eine fatale Situation. Denn wir haben uns maximal angestrengt und konnten den Zusammenbruch doch nicht verhindern. Das läßt uns an unserer prinzipiellen Lebensfähigkeit zweifeln. Wir verlieren das Gefühl dafür, ob wir uns in zukünftigen Situationen wirksam schützen können.

Am Anfang des Burnout's ist das oft noch kein Thema. Unser Körper hat meist komplett den Stecker gezogen. Setzt uns auf maximale Entschleunigung, indem er aus uns Wesen macht, die einfach gar nichts mehr können. In der absoluten Überhitzung wird der Topf konsequent von der Herdplatte genommen.

Wir hocken wochenlang in einem Sessel, können uns unsere eigene Unterhose nicht mehr anziehen, und nicht mehr selber Essen einkaufen oder kochen. Wir sind kein Ansprechpartner mehr für irgend jemanden, oft verfolgen uns auch noch Panikattacken. Wir sind schachmatt.

Annehmen was ist

Der Körper geht jetzt einen Umweg mit uns - denn er hat gesehen, daß wir nicht langsamer werden, wenn er nicht das Diktat übernimmt. Der Körper macht das nicht als erzieherische Maßnahme, sondern als Selbstschutz. So wie die Sicherung raus springt, wenn ein Stromsystem überhitzt, wirft der Körper die Sicherung, damit er keine ernsthaften Krankheitssymptome entwickelt - in dem Wissen, daß es keinen Sinn macht, Wasser in ein Gefäß zu leeren, das schon lange übergeht.

Der Wasserpegel muß erst sinken, und das psychische System muß lernen, wie es sich vor dem Überlaufen schützt, damit der Körper nicht wieder den Stecker ziehen muß.

Annehmen was ist, ist einer der Grundsätze der Achtsamkeit. Wenn wir im Burnout landen, nehmen wir ihn am Besten so an wie er ist, und vor allem in dem, daß wir ihn als Prozeß der Gesundung verstehen, der uns etwas sagen will. Daß uns der Burnout keinen Input erlaubt, bis die Selbstheilungskräfte unserer Psyche mal wieder eine Chance kriegen wirksam zu werden, sollte uns keine Angst machen. Wir sollten dem Burnout dankbar sein, daß er gut auf uns schaut.

Was zu lernen ist

Aus meiner Sicht gibt es zwei Hauptursachen für Burnout. Neben der Geschwindigkeit und dem Vielen sind es Situationen, zu denen wir ja sagen, obwohl alles in uns nein sagt, und zu lange versuchen damit zu leben.

Beiden gemein ist, daß es einen Mechanismus im Körper gibt, der uns schachmatt setzt, wenn es uns über längere Zeit nicht gelingt auf unsere Bedürfnisse zu achten, sie zu spüren, und ihnen Ausdruck zu verleihen. In dieser Situation versuchen wir klassischerweise den Bedürfnissen anderer gerecht zu werden und reagieren auf das Außen entweder mit Wut oder Depression - können uns mit unseren wahren Gefühlen aber nicht zeigen.

 

Übung

Wer sich in dieser Beschreibung wieder findet, kann sich auf die Reise machen, Schritt für Schritt für sich zu sorgen. Im besten Fall schon bevor der Burnout kommt. Nämlich, in dem er Dinge so weit verlangsamt, daß er sich selber wieder spürt. Wenn das sich spüren nicht einsetzt, dann müssen wir nicht nur langsamer werden, dann müssen wir auch noch einen Umweg gehen.

Egal wie unangenehm sich das anfangs anfühlen mag, es ist unsere einzige Chance auf Lösung. Wenn wir diesen Weg nicht gehen, fühlen wir uns so lange als Opfer der Situation, bis uns unser Körper vielleicht im Burnout stoppt. In der Überforderung liegen noch andere Gefahren - wir sind nicht so umsichtig und die Gefahr von Unfällen und Krankheiten wächst.

Langsamer werden und es aushalten unsere Gefühle zu fühlen ist ein Weg, der uns mit der Lösung verbindet.

Zu lernen, unsere Bedürfnisse genauso wahr zu nehmen, wie ihre Legitimität ist das Ziel.

Wie wir uns gegen ein zu viel schützen können, das kann ganz unterschiedlich sein. Nicht jeder muß sich dafür unbedingt auf die Reise der Selbsterforschung und Achtsamkeit machen.

Es genügt, wenn wir lernen, daß wir ab einem gewissen Punkt unsere Grenzen ohne wenn und aber schützen müssen - schon vor der Überforderung. Denn wenn die Überforderung schon da ist, ist unsere Handlungsfähigkeit sehr eingeschränkt. Meist gibt es dann nur noch ein Weiterlaufen im Hamsterrad.

Ein Freund von mir hat einen ganz pragmatischen Weg gewählt. Er arbeitet selbstständig und hat aus seinem Burnout einen ganz praktischen Schluß gezogen. Er arbeitet an Arbeitstagen acht Stunden - und nur wenn bei Ausnahmen gar nicht anders geht, arbeitet er zehn Stunden. Über 10 Stunden hinaus arbeitet er einfach nicht weiter. Das weiß jeder, für den er arbeitet, und die Welt richtet sich danach. In seiner Freizeit macht er viel Sport - was den Vorteil hat, daß Stresshormone gut abgebaut werden, und ein guter Grad der Entspannung erreicht wird.

Diese Grenze wird bei ihm nicht mehr überschritten.

Wenn es uns gelingt, so auf unsere Bedürfnisse zu schauen - in Selbstachtung und Eigenverantwortung, dann müssen wir nicht nach einem Burnout höchstpersönlich zu Buddha mutieren, oder uns jahrelang in Therapie begeben. Ich sage nicht, daß Therapie ein schlechter Weg ist, um herauszufinden, warum wir auf unsere Bedürfnisse nicht gut achten können. Ich möchte nur sagen, daß es zu jeder Lösung mehrere Wege gibt - und daß es gut ist, wenn jeder für sich herausfindet, wie er seine Bedürfnisse gut spürt, und wie er seine Grenzen gut schützen kann.

Das Ziel der Übung für diesen Eintrag ist, die Dinge zu verlangsamen, und die Vielzahl der Dinge zu reduzieren, wenn wir merken, daß wir überfordert sind. Diese Aufgabe verbinde ich wie üblich mit einer Reflexion über das eigene Leben in einem Tagebuch und mit einer Sammlung der Sachen, die wir uns in unserem Leben vorstellen können, die es langsamer und spürbarer werden lassen.

Dabei ist es egal, ob das Dinge sind, die wir als tägliche Praxis einführen - ob wir etwas für unsere Abende finden, ob wir jeden Tag in der Früh laufen gehen, oder uns etwas einfällt, was wir an den Wochenenden machen können, um die Menge und Geschwindigkeit des Inputs zu reduzieren.

Jeder Schritt hilft. Wenn unser Geist die Möglichkeit bekommt, die Eindrücke zu verdauen, die er reinbekommt, ohne daß schon wieder neue Eindrücke dazu kommen, kann er sich gut ordnen. In dem Maß, wie das gelingt, spüren wir uns wieder selber und sind mit uns, unserer Lebendigkeit, und unserem Leben in Beziehung.

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