Um in diesen Beitrag inhaltlich gut einsteigen zu können, empfehle ich vorher Teil 1 dieser Serie zu lesen - "Wer bin ich? - Teil 1 - Über die Entstehung des Selbst".
Ich treffe darin eine Unterscheidung zwischen einem "falschen Selbst", das davon gespeist wird, was andere über mich sagen und denken und einem "wahren Selbst", das immer mit meiner unmittelbaren Erfahrung im Augenblick und meinen Gefühlen verbunden ist.
Wir alle leben sowohl im wahren, wie im falschen Selbst. Doch wo der Anteil des falschen Selbst groß wird, befinde ich mich oft in Konflikt mit mir selber und anderen. Ich lebe ständig in der Angst, bewertet und beurteilt zu werden und bewerte und urteile auch ständig mich selber.
Meine Lebendigkeit, meine Kreativität und Lebensenergie sind dann gebremst und der spontane Ausdruck dessen, wie ich mich fühle und was meine Bedürfnisse sind, wird durch das falsche Selbst gehemmt.
Manchmal so weit, dass ich meine Gefühle und Bedürfnisse gar nicht mehr wahrnehme.
Meine Gefühle existieren in Schichten
Wer genau hinhorcht, stellt fest, dass Gefühle in Schichten existieren. Unter der Wut und unter der Depression ist oft die Traurigkeit, unter der Aggression die Angst, hinter der Eifersucht die Traurigkeit über den Verlust von Verbindung mit mir selbst und anderen.
Liebe, Geborgenheit, Freude, Angst und Traurigkeit sind die ursprünglichen Gefühle unseres wahren Selbst.
Wut, Aggression, Depression sind Gefühle meines falschen Selbst. Sie sind Reaktionsgefühle darauf, daß ich mein wahres Selbst in diesem Moment nicht schützen kann. Es ist leichter wütend zu sein, als die eigene Traurigkeit zu spüren.
Diese Konfliktgefühle sind so etwas wie ein Schleier über den Gefühlen des wahren Selbst, die darunter liegen.
In den Gefühlen des falschen Selbst bleibe ich im Konflikt mit mir selbst und anderen - ich finde nicht in Beziehung.
Gelingt es aber, die Gefühle des wahren Selbst zu fühlen, wirkt das lösend und befreiend. Ich komme darin wieder bei mir selber an. Mein Körper entspannt sich und meine Psyche kommt wieder in Einklang. Ich bin bei mir.
In den Gefühlen des wahren Selbst bin ich im direkten Erleben meiner selbst. Ich werde mit mir selbst kongruent. Komme ich dorthin, schafft die Möglichkeit mit anderen wieder gut in Beziehung zu kommen.
Mit Achtsamkeit zum wahren Selbst
Der Schlüssel zum wahren Selbst in der Achtsamkeit ist der Körper. Darum beginnt der Weg immer mit achtsamem Yoga, mit dem Bodyscan und der Wichtigkeit der Körperhaltung in der Meditation.
Das falsche Selbst ist sozusagen im Körper gespeichert - in Form von Anspannungen und Verspannungen. Sie halten uns in den Gefühlen des falschen Selbst. Solange unser Körper uns da hält, können wir die Gefühle des wahren Selbst nicht spüren. Wir sind von ihnen abgeschnitten und in Urteil und Wertung gegenüber uns selbst und anderen gefangen.
Daher ist der Aspekt der Körperarbeit und des Körperbewusstseins in der Achtsamkeit so wichtig.
Über den Körper zum wahren Selbst
Über den Bodyscan, über achtsames Yoga und über die Meditationshaltung nehme ich in der Achtsamkeit Beziehung mit meinem wahren Selbst auf.
Beim Bodyscan gehe ich in Beziehung zu meinem Körper und lasse ihn in mein Bewusstsein - jeden einzelnen Teil meines Körpers. Durch achtsames Yoga werden die verkürzten, angespannten und verspannten Muskeln gedehnt und die wenig genutzten Muskeln gestärkt. Dadurch findet mein Körper Stück für Stück in sein natürliches Gleichgewicht zurück. Ich fühle mich dadurch freier, weiter und besser mit mir selbst verbunden.
Gleichzeitig verbindet mich der Körper mit meinen Empfindungen im jetzigen Augenblick. Der Körper ist immer im Jetzt und so kann ich über ihn immer mit meinem unmittelbaren Erfahrung in Kontakt kommen.
Ich beginne entspannter in mir selbst zu ruhen. Ich spüre mich besser, sowohl körperlich, wie auch emotional. Denn mein Körper gibt durch das achtsame Yoga Gefühle frei, die mir in einem angespannten und verspannten Körper nicht zugänglich sind.
Ich komme Stück für Stück in Kontakt mit den Gefühlen meines wahren Selbst.
In welcher Haltung ich diesen Gefühlen begegnen kann ist ganz entscheidend für die Verbindung zu meinem wahren Selbst. Traue ich mich, diese Gefühle zu fühlen, dann wirkt das lösend und entspannend. Traue ich mich nicht, diese Gefühle zu fühlen, spannt sich mein Körper sofort an und bringt mich zurück in mein falsches Selbst. Getrennt von mir, in Konflikt mit mir und ein Stück getrennt und unlebendig.
Die Haltung der Achtsamkeit
Die Haltung der Achtsamkeit wird oft als etwas gesehen, das mit Bewusstsein und Verstand zu tun hat. In der Tiefe aber hat die Haltung der Achtsamkeit sehr viel mit Körperhaltung zu tun und mit der Fähigkeit, entspannt in meinem Körper zu ruhen, in ein gutes körperliches Gleichgewicht zu finden und auch damit, im Körper Halt zu finden. Gelingt dieser körperliche Aspekt der Haltung, folgt der emotionale Aspekt ganz von allein. Denn das Gefühlserleben ist mit dem Körperempfinden gekoppelt.
Urteil und Wertung in der Achtsamkeit
Das falsche Selbst in uns entsteht durch Urteil und Wertung von außen in unserer Kindheit. Wir übernehmen diese Urteile und Wertungen uns selbst gegenüber. Wir glauben, daß bestimmte Gefühle und Bedürfnisse in uns unangemessen und schlecht sind. Dieser Glaube ist wie eine Trance, aus der wir kaum ausbrechen können. Es steht ein ganzes Selbstbild und Identität dahinter.
Das falsche Selbst folgt dabei immer dem gleichen Grundsatz: "Da ich so wie ich bin, nicht liebenswert bin, muss ich etwas leisten....., mich um andere kümmern....., darf ich nicht auffallen....., muss mich auf Kosten anderer durchsetzen.....", und so weiter.
Wenn ich das Gefühl habe, ich "darf nicht", "muß" oder "soll", dann ist das immer ein Hinweis auf das Falsche Selbst.
In der Achtsamkeit setze ich Urteil und Wertung aus und gehe mit dem Augenblick in Beziehung - so wie er ist - und dabei auch mit den Gefühlen, die in mir auftauchen. Im besten Fall gelingt es mir, sie so anzunehmen wie sie sind. Das heißt, ich traue mich, sie zu fühlen.
Wie und wodurch das in der achtsamen Meditation gelingt, beschreibe ich im dritten Teil dieser Serie.
Zum heutigen Beitrag wieder ein Buchtip zum Thema "Das Wahre Selbst" - für alle, die sich zu dem Thema vertiefen wollen. Das Buch heißt "Yoga - die Suche nach dem wahren Selbst." Einfach das link anklicken - es führt zu einem eigenen kleinen Blogbeitrag zu diesem Buch.
Übung
Ich möchte dieses Mal dazu einladen, sich eine Woche lang auf die Übungen aus dem achtsamen Yoga einzulassen. Jeden Tag ein Set in Länge von 45 Minuten.
Einfach das Yoga machen und wahrnehmen, was in mir passiert. Was sich in meiner körperlichen und emotionalen Haltung ändert.
Begleiten kannst du diese Übung dadurch, daß du täglich ein paar Notizen machst, darüber, wie es sich nach dem Yoga anfühlt und wie sich dein Tag als Ganzes angefühlt hat.
Die Fragen, die du dabei beantworten kannst, sind:
Welches Körpergefühl habe ich jetzt gerade?
Welchen Gedanken tauchen auf?
In welchen Gefühlen bin ich?
Stück für Stück wird so das wahre Selbst frei gelegt. Nicht in großen Sprüngen, sondern ganz sanft. Die Geduld zu haben, bei diesem Prozess zu bleiben und sich immer wieder die Zeit zu nehmen mit mir selbst in Beziehung zu gehen und wahrzunehmen, wer mir da begegnet - das ist für mich gelebte Achtsamkeit.
Hier noch die links zu den Anleitungen von "Achtsames Yoga im Stehen" und "Achtsames Yoga im Liegen"