Mich selbst so anzunehmen, wie ich bin - diese Sehnsucht haben wir alle. Doch der Weg ist oft versperrt. Denn es fehlt die Orientierung, wie ich das machen kann.
In Teil 1 und Teil 2 dieser kleinen Serie hab ich darüber geschrieben, wie das Selbst entsteht und wie ich zwischen meinem falschen, übernommenen Selbst und meinem wahren Selbst unterscheiden kann. Schließlich hat sich Teil 2 auch noch dem Thema gewidmet, wie ich mit dem wahren Selbst in Kontakt kommen kann. Der Schlüssel dazu ist der Körper.
Um diesem Beitrag inhaltlich gut folgen zu können, empfehle ich die ersten beiden Teile dieser Reihe zu lesen, da der Weg zum wahren Selbst in den Beiträgen in sich aufbauend beschrieben wird.
Selbsterkenntnis
Im Verstehen und vor allem im "Erfahren" dessen, wie sich das wahre Selbst anfühlt, stellt sich durch Achtsamkeit Stück für Stück "Selbst-"erkenntnis ein. Ich fühle meinen Körper und ich nehme Gefühle meines wahren Selbst unmittelbar im Augenblick wahr.
Diese Selbsterkenntnis ist der erste Schritt dazu, mit meinem wahren Selbst Schritt für Schritt kongruent zu werden - oder anders gesagt, mich Schritt für Schritt mehr mit meinem wahren Selbst zu identifizieren. In dem Maß nimmt die Identifikation mit dem falschen Selbst ab.
Dieser Vorgang lässt sich nicht im Kopf lösen. Nur, weil ich ihn verstanden habe, ändert sich nichts und ich mache wieder und wieder die Erfahrung, daß mich mein falsches Selbst im Griff hat.
Der Zugang zum Veränderungsprozess geschieht nur über die Erfahrung der Begegnung mit meinen Gefühlen in einer bewusst gewählten, achtsamen Haltung.
Die Haltung der Meditation
Ich habe in mehreren Beiträgen in meinem Blog ausführlich zum Thema Haltung geschrieben. Daher möchte ich das Thema hier nur in seiner Essenz ansprechen. Wer sich in dem Thema vertiefen möchte, kann das beispielsweise in meiner Reihe zum Thema "Haltung ist die Basis von Meditation" tun.
Das Wesentliche in der Haltung der Meditation ist, daß sie nicht zufällig ist. Sie ist die einzige Haltung, in der mein Körper in ein perfektes Gleichgewicht findet und in der ich, obwohl ich aufrecht sitze, komplett loslassen kann. Das heißt, ich kann alle Muskeln meines Körpers bewusst entspannen, mich komplett zentrieren und kann mich in der Haltung halten lassen.
In der Meditationshaltung hält mich mein Skelett aufrecht, wenn die Haltung richtig ausgeführt ist - und nicht meine Muskeln. Körperlich und psychisch bringt mich die Meditationshaltung in eine Position, in der ich mit mir selbst optimal in Beziehung komme.
Ich werde ruhig, zentriert, klar und bewusst.
In dem Moment, wo ich meine Augen schließe, werden meine Selbstsysteme aktiviert. Das heißt, ich nehme mich automatisch selbst wahr. Wenn, wie in Teil 2 dieser Serie beschrieben in Folge von achtsamer Körperarbeit Gefühle in mir fühlbar werden, die ich schon lange nicht mehr gefühlt habe - oder vor denen ich Angst habe, dann gibt es auch in der Meditation den unwillkürlichen Impuls mich sofort anzuspannen, um das Gefühl zu unterdrücken.
Das bin ich gewohnt und es passiert in Sekundenbruchteilen, ohne daß ich es merke. Die Achtsamkeit lehrt, diese Impulse bewusst wahrzunehmen und ihnen dadurch anders begegnen zu können.
Meine Gefühle fühlen
Wir wollen Schmerz oft nicht spüren oder versuchen der Angst auszuweichen oder Traurigkeit los zu werden. Anspannung schützt uns dann vor diesen Gefühlen. In der Regel sind es Gefühle, die unser falsches Selbst als gefährlich einstuft. Denn in der Vergangenheit haben wir Zugehörigkeit verloren, wenn wir sie fühlen oder ihnen Ausdruck geben. Also sind diese Gefühle nur noch mit schlechtem Gewissen, Schuld oder Scham wahrnehmbar.
Gelte ich beispielsweise sofort als egoistisch , wenn ich mal ein Bedürfnis anmelde, wird mein Bedürfnis irgendwann mal keinen Platz mehr haben. Es wird dann tabu. Ich kann nicht mehr zum ihm stehen. Oder ich nehme es gleich gar nicht mehr wahr. Meine Bedürfnisse verschwinden sozusagen in diesem falschen Selbst.
Tauchen diese Gefühle in der Mediation auf, weil sie wieder frei werden, reagiert mein emotionales Gehirn wie gewohnt mit Scham, Schuld und schlechtem Gewissen - die Anspannung kommt und ich habe gegenüber diesen Gefühlen Urteile und Wertungen. Mir wäre es am liebsten, diese Gefühle gehören nicht zu mir.
In der Haltung der Achtsamkeit lerne ich in der Meditation mit meinen Gefühlen zu sein und für die Dauer der Meditation Urteil und Wertung auszusetzen. Ich bleibe einfach mit dem Gefühl, nehme es wahr und habe im besten Fall den Mut, es wirklich zu fühlen.
In diesem Prozess kommt es zu einer interessanten Transformation. Ich kann erkennen, daß sich das Gefühl ganz anders anfühlt, als ich immer dachte. Und so komme ich Stück für Stück in eine neue Beziehung mit meinen Gefühlen. Statt sie von außen anzuschauen und ein verzerrtes Bild von ihnen zu haben, lebe und erfahre ich Gefühle, die ich dadurch erst kennenlerne.
Das Geheimnis der Meditationshaltung
Das Geheimnis der Meditationshaltung ist, daß ich lerne auch Gefühle anzunehmen und zu fühlen, die mich im Alltag sonst komplett überfluten würden, vor denen ich wirklich Angst habe. Solche, bei denen ich im Alltag das Gefühl habe, nicht mehr Herr meiner Selbst zu sein, weil ein Gefühl so stark wird, daß ich außer mir bin.
In der Meditationshaltung, werde ich wesentlich weniger von Gefühlen überrollt, als in jeder anderen Situation in meinem Leben. Dadurch, daß ich Halt in meinem Körper finde, lerne ich in der Meditation auch meine Gefühle zu halten. Ich lerne mit ihnen zu sein und sie wieder als mir zugehörig zu erkennen. Und ich lerne, daß dabei nichts Schlimmes passiert. Sondern etwas Lösendes. Kann ich diese Gefühle fühlen, löst sich etwas nachhaltig und ich kann tief entspannen.
Ein nachhaltiger Veränderungsprozess
In diesem Erfahrungsprozess passiert Veränderung. Denn mein emotionales Gehirn macht die Erfahrung, daß ich ein Gefühl fühlen kann, ohne daß etwas Schlimmes passiert. So lernt mein Unbewusstes, daß es mich vor dem Fühlen dieses Gefühls nicht mehr durch Anspannung schützen muss.
Je öfter ich diese Erfahrung mache, desto mehr wird sie zur automatischen Gewohnheit. Meine Persönlichkeit ändert sich. Ich bin ein Stück mehr der geworden, der ich ohnehin schon bin.
Ich sammle so Stück für Stück wahres Selbst wieder ein und das falsche Selbst wird kleiner. Dieser Prozess des Sammelns und in Beziehung Gehens mit meinem wahren Selbst ist für mich ganz persönlich meine Praxis der Achtsamkeit.
So ist Veränderung in der Achtsamkeit ein Prozess, bei dem ich nicht wer anderer werden muss, sondern bei dem ich Stück für Stück ich selber werden kann.
Selbstwert und Selbstbewusstsein
In diesem Prozess lerne ich den Wert kennen, den dieser Einklang mit meiner unmittelbaren Erfahrung hat. Ich entdecke meine Lebendigkeit, meine Spontaneität, meine Lebensfreude und ich entdecke, daß ich Stück für Stück mit mir selbst besser und herzlicher umgehe.
Wenn ich lerne, mich so anzunehmen wie ich bin, entsteht in alle Richtungen Verbindung und Beziehung. Ich bin mit meinem Körper verbunden und mit meinen Gefühlen. In diesem Bewusstsein entsteht Selbstwert.
Die natürliche Folge ist ein gutes Selbstbewusstsein. Denn wenn ich Scham- und Schuldgefühle abbaue, kann ich mich auch anderen gegenüber angstfrei zeigen, wie ich bin und zu mir stehen, ohne daß das auf Kosten anderer geht.
So führt Achtsamkeit in Beziehung.
Hiermit endet diese kleine Serie zum Selbst. Gelingt es, Stück für Stück das wahre Selbst wieder einzusammeln, ist das eine große Belohnung. Es braucht dafür Orientierung, Regelmäßigkeit in der Übung und die Bereitschaft geduldig mit sich selbst zu sein. Die Veränderung ist nachhaltig, aber sie braucht Zeit. Aber mit jedem mal, wo ein Stück Wiedervereinigung mit mir selbst gelingt, ist der nächste Schritt ein bißchen einfacher.
Übung
Als Übung möchte ich dieses Mal auf eine Meditation hinweisen, die eine direkte Erfahrung mit dem oben Beschriebenen erlaubt. Die Meditation ist mit dem zugehörigen Blog Artikel verlinkt.
Ich bin ein großer Befürworter, sich über eigene Erfahrungen in Themen rein zu arbeiten. Die Lösung vom falschen Selbst und der Weg zum wahren Selbst kann allerdings sehr verwirrend und frustrierend sein, wenn man keine gute Begleitung hat.
Ich kann für diesen Weg also nur die Begleitung durch erfahrene Achtsamkeitslehrer und die gemeinsame Erfahrung in der Gruppe empfehlen. Es erleichtert den Weg ungemein.
Ohne Mentoren wäre auch mein Weg nicht möglich gewesen.