Wie oft bringen uns widersprüchliche Gefühle in Konflikt mit uns selbst. Sofort entsteht die Frage: "Welches Gefühl ist richtig? Welches Gefühl ist falsch?"
Wie kann ich gut damit umgehen, daß meine Gefühle in verschiedene Richtungen ziehen?
Erstaunlicherweise ist die Antwort auf die Frage nach richtig und falsch ganz einfach. Alle Gefühle sind richtig. Denn alle drücken eine innere Wahrheit darüber aus, wie ich in der jetzigen Situation empfinde.
Gefühle halten können
Intuitiv glauben wir oft, uns für eines der Gefühle entscheiden zu müssen, die in uns lebendig sind. Doch in dieser Haltung kommen wir in einen tiefen Konflikt mit uns selbst.
Die Kunst besteht darin, unterschiedliche Gefühle gleichzeitig zuzulassen und halten zu können. Was passiert, wenn ich innerlich sagen kann, ich hasse diesen Menschen gerade für etwas, was er getan hat "und" ich liebe diesen Menschen?
In der Haltung der Achtsamkeit ist es ganz zentral, mich in jedem Moment so annehmen zu können, wie ich bin. Wo das gelingt, tritt Entspannung ein und ich finde in eine gute Beziehung zu mir selbst zurück. Dieser Schritt ist die Basis dafür, daß ich mit meinem Gegenüber wieder gut in Beziehung gehen kann.
Mich mit meinen Gefühlen zeigen können
Die Kunst besteht darin, mich mit meinen Gefühlen auch zeigen zu können. Das heißt, so wie ich bin in Beziehung zu gehen und mich zu zeigen. So werde ich für mein Gegenüber sichtbar und spürbar.
Es ist also ein großer Unterschied, ob ich in einem Konflikt nur noch sagen kann, daß ich mich mit meinen eigenen Gefühlen nicht mehr auskenne und mich deswegen zurückziehen muss. Oder ob ich zu mir stehen kann und den verschiedenen Gefühlen Ausdruck geben kann. Ich fühle mich verwirrt "und" ängstlich "und" optimistisch "und" dankbar zugleich. Aus meiner Erfahrung tut es gut, das so aussprechen zu können. Man beginnt sich dadurch auch selbst zu verstehen.
Ich kann also mit meinem Gegenüber in Konflikt sein "und" mich gleichzeitig mit ihm verbunden fühlen. So schneide ich mich nicht ganz von der Beziehung ab, stelle nicht alles infrage "und" kann meinem Gegenüber auch signalisieren, daß ein Teil von mir gerne nah bei ihm ist. Das schafft eine ganz andere Beziehungsqualität.
Wo es möglich ist, diese Gefühle wirklich nebeneinander stehenzulassen, machen mir selbst die ablehnenden Gefühle nicht mehr so viel Angst. Und somit ist es auch leichter, sie auszusprechen und einzubringen.
Was ich in Beziehung gelernt habe
Es gibt eine Phase in der Kindheit, in der ich lerne, daß verschiedene Gefühle gleichzeitig in mir sein können. Wenn das in dieser Lebensphase nicht möglich ist, weil meine Eltern widersprüchliche Gefühle in sich nicht zulassen konnten, wird diese Fähigkeit in mir nicht entwickelt und die Welt wird Schwarz / Weiß. Dann ist jemand entweder gut oder böse und alles andere ist nicht mehr vorstellbar.
Angst bestimmt den Fokus
Im Konflikt bekommen die Gefühle, die mir Angst machen - das Trennende, meist die größere Gewichtung. Von einer Sekunde auf die andere scheint alles dem Untergang gewidmet und ich fühle mich allein. So ist es eine bewusste Übung, die anderen Gefühle nicht aus dem Fokus zu verlieren und ihnen gleich viel Bedeutung zuzumessen.
Die Vereinigung von Gegensätzen
Ich kann einen schrecklichen Tag gehabt haben "und" gleichzeitig fühlen, daß mein Leben gut ist.
Da gab es vielleicht schwierige Zeiten in meinem Leben, in denen es mir gar nicht gut gegangen ist - "und" - wenn ich zurückschaue, werde ich sehen, daß durch diese Zeit auch oft etwas Gutes in mein Leben gekommen ist. Eine Fähigkeit, eine Entscheidung, eine Ressource, die ich ohne diese Zeit vielleicht nicht hätte.
Mit dem Wort "und" bekomme ich eine andere Perspektive auf Ereignisse und Beziehungen in meinem Leben.
Das Wort "und" kann Gegensätze verbinden und etwas wieder ganz machen.
Wo es gelingt, scheinbar widersprechende Seiten einer Sache gleichzeitig zu sehen, kann ich Erfahrungen als Ganzes in mein Leben integrieren und finde auch mit schwierigen Zeiten in Einklang.
Übung
Die Achtsamkeit ist immer die Einladung, den Situationen in meinem Leben in einer anderen Haltung zu begegnen. Mache ich in der Haltung die Erfahrung, daß sie mir guttut, kann ich sie neugierig weiter erforschen.
So ist die Übung für diese Woche, widersprüchlichen Gefühlen in dir in einer anderen Haltung zu begegnen und bewusst wahrzunehmen, wie es dir damit geht.
In Schritt eins kannst du üben, die Gefühle einfach nebeneinander stehenzulassen. Ich habe dieses Gefühl "und" dieses andere Gefühl. Und das darf sein, das ist in Ordnung so.
Achte darauf, wie sich das in dir anfühlt. Ob diese Haltung in Entspannung oder in Anspannung führt.
Wenn du merkst, daß du durch diese Haltung in weniger Konflikte mit dir selbst kommst, kannst du in Schritt zwei ausprobieren, wie es ist, dich mit diesen gleichzeitig in dir existierenden, widersprüchlichen Gefühlen zu zeigen. Am besten in Situationen, in denen du dich sicher fühlst. Da fällt es leichter auszuprobieren, was passiert.
Achte darauf, wie das die Begegnung mit dir und deinem Gegenüber verändert. Auch hier gilt: Wenn das Ergebnis dazu führt, daß du damit gut aus einem Konflikt kommst, kannst du diese Haltung Stück für Stück in deine Beziehungen einbringen.
Wie alle Übungen in der Achtsamkeit, die einen gewohnten Blick verändern, braucht diese Haltung Übung und Wiederholung, um zu einem Teil deiner Identität werden zu können.